90 Tage auf Bewaehrung
wieder. Fleisch ist halt irgendwie doch ein Männerthema. Er kaufte Würstchen, ich wollte Filet (natürlich!), eingelegtes Holzfällersteak (igitt!) für die Kerle, Pute für die Damen.
»Noch ein bisschen Bauchspeck dazu? So was mögen ja richtige Männer«, schwatzte mir der Fleischer in meine Gedanken, und mein Liebster lachte laut und genervt zugleich. Ich konnte mich auf ihn verlassen, alberne und dämliche geschlechtsspezifische Fleischaufteilung! Nicht für aufgeklärte, gleichberechtigte, moderne Paare wie uns!
Nachdem wir das Dreikilopäckchen aus den wuchtigen Händen des Fleischers entgegengenommen hatten, entstand eine kurze Pause. Mein Liebster sah erst in meinen, dann in seinen Einkaufswagen, guckte mich dann unschlüssig an und fragte mich nebenbei: »Was gibt’s denn zum Nachtisch? Was wirst du denn machen?«
Das Gefühl kannte ich aus der Schule: Komm mal an die Tafel und zeig uns mal mathematisch korrekt den Lösungsweg! Panik! Schweißausbrüche! Wie soll ich denn, wenn ich noch nicht mal den Ansatz von einer Lösung habe, gleich einen ganzen Weg aufzeichnen können? Aber ein noch viel furchtbareres Gefühl war die Erkenntnis, dass mein Liebster halt doch ein ganz gewöhnlicher Mann ist, der in diesem Augenblick, vor der Tiefkühltruhe und hinter dem Regal mit den Tütensuppen, in mir eine ganz gewöhnliche Frau sah. Und die sind genetisch zuständig für den Nachtisch! In was für einer Welt lebe ich denn bloß? Haben die Männer denn nichts gelernt? Wird frau denn auf Nachtischmachen und Hemdenbügeln reduziert? Wir sind doch anders, mein Liebster und ich.
Das war der richtige Moment für meine Atemübungen, frei nach meiner Analytikerin Frau S Punkt aus B Punkt. Während ich tief ein- und ausatmete und kurz davor war, mir eine Einkaufstüte über Mund und Nase zu stülpen, um das Hyperventilieren zu vermeiden, hatte ich einen Geistesblitz. War es nicht einfach nur Angst, Angst vor Nomalität?
Davor, eine normale Beziehung zu führen, die nicht immer auf der Überholspur in Lichtgeschwindigkeit mit überraschenden Momenten und außergewöhnlichen Situationen stattfindet? Eine Beziehung, die auch mal Alltag sein kann? Zwei Menschen, die nicht immer nur im Wahn übereinander herfallen, sondern auch einfach mal grillen? Ganz zu schweigen von der Angst, den Nachtisch zu versauen. Sie wissen ja, wie’s um meine Küchenkünste steht.
Ich diesem Moment überkam’s mich trotzdem noch mal. Der Gedanke, ich soll mich jetzt für die Gestaltung des Nachtisches verantwortlich fühlen, holte aus mir meine letzten Fremdsprachenkenntnisse heraus: »MOI? MOI? MOI?«
Auf Französisch klingt ein einfaches ICH? noch viel entsetzter. Zum Glück lachte er laut. Er glaubte doch tatsächlich, ich wollte ihn nur verarschen. Meine Angst, auf der ganzen Strecke zu versagen, blieb unbemerkt. Ronja! Zum Glück erreichte ich sie gleich auf ihrem Handy und holte mir sofort einen Anschiss. »Du undankbares Stück«, schnauzte sie mich an. »Wie lange bist du alleine durch Supermärkte gelatscht, hast uns abends von deinen soziologischen Beobachtungen erzählt, von Paaren, die für dich der Inbegriff des siebten Himmels auf Erden waren? Und jetzt schiebst du wegen eines dämlichen Nachtischs so eine Panik? Hol dir einen Eimer rote Grütze und schütte Vanillesauce drüber. Gibt’s alles fertig, schmeckt klasse, und keiner merkt, was du für’ne Niete bist.« Sie beruhigte sich gar nicht mehr. Wie ein Stakkato an Beschimpfungen reihte sich Satz an Satz. »Wie lange willst du die unabhängige Super-SingleFrau ohne einen Hauch Verantwortung spielen? Wann begreifst du endlich, dass das Leben nicht nur Kino sein kann? Genieße doch einfach jede Minute, und der Alltag gehört dazu. Im Gegenteil: Der Alltag macht’s doch erst perfekt.
Wenn ein Mann alltagstauglich ist, ist das fast wie ein Sechser im Lotto. Wie alltaugstauglich bist du eigentlich, wenn du noch nicht mal bereit bist, einen beschissenen Scheißnachtisch auf den Tisch zu stellen, ohne gleich in deinem feministischen Gehirnmatsch auszurutschen?« (Ich möchte mich an dieser Stelle für die Wortwahl meiner Freundin entschuldigen!)
Ronja legte auf, und ich fing an, ernsthaft über Nachtische und Vorteile einer Beziehung, einer längeren Beziehung, einer ernsthaften Beziehung nachzudenken. Es war an der Zeit, einfach mal zu lassen - fallen zu lassen, loszulassen, zuzulassen.
Und das mitten im Supermarkt. Okay, rote Grütze und Vanillesauce. Als mein Liebster
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