~900 Meine Reise auf dem spanischen Jakobsweg. (German Edition)
nicht. Wer kann sagen ‚nein!‘ wo einer sagt ‚Ich bin Pilger!‘? An die Religion ist es nicht mehr gebunden. Das was einmal so etwas wie Ablass war, ist nun häufig Schmuck für die Wand.
Warum braucht es eigentlich erst einen Weg um eine Veränderung zu beginnen? Manche gehen schon los mit dem Gedanken ‚Ich will jetzt etwas verändern an meinem Leben’. Sie wollen die Erfahrung mit sich selbst oder mit Gott machen. Andere wollen Probleme erleichtern oder lösen oder Lasten ablegen. Kann der Weg wohl mehr geben als man eigentlich gesucht hat? Es soll ja schon zu überraschenden Erleuchtungen gekommen sein. Vielleicht haben sie gesucht ohne es zu wissen, Gott gebraucht ohne es zu ahnen. So oder so gibt es kein ‚Nein!‘ wo einer sagt ‚Ich bin Pilger‘. Für jeden ist der Weg anders und jeder sollte erkennen, früher oder später, dass jeder Weg mit Respekt zu achten ist.
Wie der Nebel heute gegen Mittag, so lichten sich meine Gedanken mit der Diskussion. Ich habe wieder meinen Standpunkt gefunden, weiß wo ich bin, wo ich nicht stehen bleiben muss aber kann und möchte. Themen zum Schreiben fliegen mir zu, der Blick wird klarer.
08.09.08 28km nach Terradillos de los Templarios - Worüber sich manche Menschen so aufregen…
Wieder träume ich viel und wirr, doch wenige Atemzüge nachdem ich die Augen aufschlage sind die Bilder wieder verflogen. Sie werden durchdrungen von leiser Musik, die in der Herberge gespielt wird. Ein Lied zum Wecken. So gehe ich recht früh los und meine vielfältigen sehr leisen Beschwerden über schlechte Markierungen in Städten wurden wohl erhört. Jedenfalls treffe ich eine Französin, die den Weg blind zu beherrschen scheint.
18 Kilometer geht es schnurgeradeaus, danach gönne ich mir eine lange Pause in einer Bar, die gleich am Ortseingang auf Besucher, vor allem wohl auf Pilger, wartet.
Noch zehn Kilometer gehe ich weiter und keinen einzigen Schritt nimmt mein Körper mir übel. Es ist so ziemlich der erste wirklich schmerzfreie Tag für mich auf dem Jakobsweg. Wie gut es tut einfach mal zu gehen, ohne ständig zu spüren, dass mein Körper nicht vollkommen ist.
Die Landschaft ist mal wieder unglaublich schön. Neben dem Laufen nehme ich sie leider oft wenig bewusst wahr. Ab und an wandern meine Augen dann aber doch erstaunt über die Schäfchenwolken und das strahlende Gold der Felder der Meseta. Ich mache viele, sehr viele Bilder. Sie können es nicht festhalten, können später nur erinnern. Es ist das Gefühl das zählt, ich schreibe es mir in mein Tagebuch. Mit den größten Worten die ich finden kann.
Heute herrscht große Ratlosigkeit über die Streckenplanung. Es können 18 oder 28 Kilometer und dazu noch eine Alternativroute begangen werden. Vielen sind die 28 zu lang, die 18 wiederum zu kurz. Scheinbar ist es manchen nur recht wenn es genau 24 Kilometer sind, kein Schritt mehr, kein Schritt weniger. Die Städte sind aber wirklich auch schlecht gebaut worden … in völlig falschem Abstand zueinander.
Eigentlich lernt man auf dem Weg vieles hinzunehmen. Jedenfalls geht es mir so. Wenn mein Körper nicht weiter will, dann will er nicht und ich setze mich hin. Wenn die Herberge eng ist, ist sie eng und ich mache mir den kleinen Platz bequem.
Ich höre auch immer wieder Pilger darüber sprechen, dass sie einen Bus nehmen wollen um mit ihrer Planung noch gut hinzukommen. Für mich selbst schließe ich das aus. Würde ich in einen Bus oder ein Taxi steigen wäre es für mich beinahe so als würde ich aufgeben, dem Weg nachgeben. Es ist mein Ziel zu bleiben im Gehen. Leider stehen wir uns beide da nicht in vielem nach. Sowohl er, der Weg, als auch ich sind sehr sehr stur.
Angeblich soll es morgen mal wieder regnen. Regen ist eines der Gerüchte, dass sich sehr schnell verbreitet. Wenn es immer regnen würde, wenn jemand sagt es könnte regnen, würde es hier ständig aus Kübeln gießen.
Der Tag endet mit vielen wirren Gedanken. Sie finden sich jetzt in meinem Tagebuch wieder. Ob ich sie morgen noch entziffern kann? Ob ich noch dieses Gefühl finden kann das ich beim Schreiben hatte? Wenn ich wieder daheim bin… wird all das hier verflogen sein? Ich versuche die Buchstaben aufs Papier zu zwingen um nicht zu vergessen, keine Illusion zu schaffen, meinen Weg zu sehen wie er ist.
09.09.08 24km nach Bercianos del Real - Gewitter
Um halb fünf weckt mich lautes Donnergrollen und kurz darauf reißt mich ein greller Blitz endgültig aus dem Schlaf. Mit
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