~900 Meine Reise auf dem spanischen Jakobsweg. (German Edition)
mir erwachen alle Zimmergenossen. Das Unwetter hält sich bis die ersten Wecker klingeln und den beginnenden Aufbruch verkünden. Am liebsten möchte ich mich in meinen Schlafsack verkriechen und nicht mehr herauskommen. Zum zweiten Mal auf dem Jakobsweg. Wieder wegen eines Gewitters. Und wieder würde ich, wenn ich könnte, einfach heimgehen. Dass es keine und direkte Möglichkeit für mich gibt nach Hause zu kommen ist vielleicht das Einzige dass mich zum Bleiben bewegt.
Alte Volksweisheiten kommen mir in den Sinn. ‚Freies Feld meiden’ ist eine davon … wir sind noch immer in der Meseta. Hier ist nichts außer freiem Feld. Als der Doktor sich mit dem Anhang auf den Weg macht gehe ich mit. Alleine würden mich in das Unwetter keine zehn Pferde bewegen.
In der ersten Bar ertrinke ich in Selbstmitleid, Cafe con Leche und süßen Dingen. Der Doktor geht mit seiner kleinen Gruppe weiter und so sitze ich alleine in der warmen Umgebung und warte auf genug Kraft mich wieder hinauszuwagen. Als ich wieder hinausgehe nieselt es immer noch und der Poncho nervt, weil er an den Seiten offen ist und sich nicht weiter zuknüpfen lässt. Jeder Schritt ist schwer und die Nässe und die Erlebnisse des Morgens deprimieren mich.
Irgendwann bricht die Sonne durch die Wolken und es wird warm. Von einer Stunde auf die nächste wird es wieder typisch spanisches Wetter. So kann ich in der nächsten Stadt in Ruhe einkaufen, ohne Angst vor Regen. Ich brauche mal wieder Schmerzmittel. Das Bein links tut weh, aber jetzt weiter unten. Es wird schwer.
Am eigentlichen Ziel stelle ich fest, dass es in die nächste Stadt gar nicht mehr so weit ist. Ich hatte zuvor falsch geschaut und eine Alternativroute mit eingerechnet, die ich gar nicht gehen möchte. So schaffe ich mehr als gedacht, insgesamt 24 Kilometer. 24 schwere und sehr anstrengende Kilometer, aber ich bin glücklich so weit gekommen zu sein, an einem Tag der mit einem Gewitter begonnen hat.
Ich trage gerade meine Wäsche nach draußen, als Katharina, die Doktorstochter, in der Herberge ankommt. Warum sie hinter mir ist weiß ich nicht, sie müsste vor mir sein. Ich frage nach. Der Doktor hat irgendwo auf dem Weg seine Brille liegen gelassen. Mit dem Taxi sind sie die Strecke abgefahren und haben lange gesucht. An jedem Rastplatz haben sie ausgiebig nachgesehen und nachgefragt. Leider haben sie nichts gefunden. Plötzlich mischt sich aus dem Hintergrund der Herbergsvater ein. Erst wenige Sekunden nachdem er uns anspricht erinnere ich mich daran, dass er in geringem Maße deutsch spricht.
‚Eine Brille? Eine Brille wurde hier abgegeben‘. Natürlich denken wir beide zuerst an irgendeine alte Sonnenbrille, die irgendjemand verloren hat ohne sie jemals wirklich zu vermissen. Bercianos liegt auf einer von zwei Alternativrouten und es gibt mehrere Stationen sowie Herbergen in denen man übernachten oder eben eine Brille abgeben könnte. Wie gesagt: Wir erwarten eine uralte Sonnenbrille. Umso erstaunter sind wir als es tatsächlich sündhaft teure Brille des Doktors ist. Mehr Zufälle an einem Tag kann es kaum geben. Manchmal gehen Dinge auf dem Jakobsweg seltsame und wundersame Wege.
Wieder einmal erlebe ich das Leben spanischer Dörfer. Spiele und Spaß bis in die späte Nacht hinein. Der Sonnenuntergang ist so schön.
10.09.08 20km nach Reliegos - Die beste Bar am Camino gehört Elvis
Obwohl ich früh aufstehe fühle ich mich endlich einmal so richtig ausgeschlafen. Trotzdem beginnt der Tag schwierig. Ich verpasse in der ersten Stadt die Bar und die nächste Stadt ist schon der Zielort. Meine Stimmung sinkt schlagartig und dramatisch. Ich ärgere mich sehr darüber nicht sofort umgekehrt zu sein um nach der Bar zu schauen. Ich habe die falsche Priorität gesetzt. Mit netten Menschen zusammen zu laufen ist kein Ersatz für ein Kaffee-Ritual. Rituale sind so wichtig wie weniges. Sonst trinke ich zwar nie Kaffee, doch hier ist er für mich eine Pause, ein Ruheort, ein kurzes Besinnen. Und nun bin ich schon zu weit weg von der Stadt entfernt um zurückgehen zu wollen. Diese winzigen Kleinigkeiten, Kaffee und ein wenig Süßes, fehlen mir nun - und obwohl es eigentlich nur Kleinigkeiten sind habe ich mich sehr auf sie gefreut. Nun bin ich sauer auf mich selbst.
An sich ist der Tag schön, doch ohne Motivation ist alles so viel schwerer. Ich bin alleine auf den Weg gekommen, gehe alleine, warum lasse ich mich nun von anderen so beeinflussen? Ich weiß es nicht.
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