~900 Meine Reise auf dem spanischen Jakobsweg. (German Edition)
Warum verzichte ich auf etwas, dass ich ‚gebraucht’ hätte?! Falscher Egoismus zum falschen Zeitpunkt. Nette Gesellschaft ist eine Sache, der eigene und persönliche Rhythmus eine andere. Das Eine um des anderen Willen zu vergessen ist nicht gut.
Sowieso bin ich momentan leichter genervt, die täglichen Strapazen zeigen scheinbar ihre erste Wirkung. Nachdem mich das Wandern lange entspannt hat werden manche Dinge nun schwerer. Auch manche Menschen stören mich plötzlich. Die Ruhe, die ich mir selbst versuche aufzuzwingen hat nachgegeben, gibt auf. Drei deutsche Jugendliche mit beinahe respektlosem Niveau möchte ich am liebsten anschreien. Es ist wohl nur Humor den ich nicht verstehe. Für mich wirken sie so als nähmen sie nichts und niemanden ernst. Es ist seltsam hier auf dem Weg auf Menschen zu treffen die ich einfach nicht mag. Mein Studium, die dortige Umgebung, die Menschen hier, sie haben mich fast vergessen lassen, wie sich Ablehnung anfühlt. Vielleicht musste ich so wieder einmal daran erinnert werden.
Auch wundert es mich, dass ich vergessen hatte wie unwichtig mir solche Menschen sein müssten.
Nach dem ganzen Stress beschließe ich erst einmal eine gute Bar auszusuchen um ein kühles Bier in der heißen spanischen Sonne zu genießen. Dazu gehe ich ein kleines Stück zurück in die ‚Stadt’, die Herberge liegt nicht ganz im Zentrum des Dorfes. Die Bar die ich mir ausgesucht habe gefällt mir sehr. Der Wirt (Sinin, wird auch Elvis genannt) ist unglaublich fröhlich, gastfreundlich, menschlich. Nach dem zweiten Bier, das mir ein fremder Spanier ausgibt, spreche ich spontan besser spanisch und habe viel Spaß mit dem Wirt. Ein angenehmer Wind weht, die Biere tun ihr übriges, die Welt ist wieder in Ordnung und ich fühle mich wohl.
Es tat gut wieder etwas weniger Kilometer zu gehen, so habe ich nun mehr Urlaub am Nachmittag und komme nicht schon völlig erschöpft an. Andere Pilger, die 30 Kilometer und mehr am Tag gehen, bewundere ich zwar ob ihrer Leistung, aber sonderlich neidisch bin ich deswegen nicht. Mein anfänglicher Plan mich treiben zu lassen gefällt mir jeden Tag besser.
Jeden Tag aufstehen und losgehen zu müssen ist eine psychische Herausforderung. Ich fühle mich heimatlos. Nicht viel anders als im Alltag. Hier doch noch offensichtlicher, noch deutlicher, noch härter. Zu gerne bleibe ich morgens lange im Bett liegen und genieße die Wärme meiner Decke. Verschwende den Tag mit Nichtigkeiten und mit Bleiben. Hier treibe ich mich selber weiter. Das ungeschriebene Gesetz des Weges führt mich jeden Tag an einen anderen Ort. Dass ich mehr als genug Zeit eingeplant habe kommt mir nun zugute, ich muss mich sogar eher etwas zurückhalten um nicht viele Tage zu früh in Santiago anzukommen. Das Weitergehen, die Unruhe bleibt, doch ist sie milder.
In der Herberge ist es nicht leicht zu kochen. Ständig springt die Sicherung heraus, sobald mehr als eine Platte des Herds an ist. Ich laufe die Treppe hinab, finde den Sicherungskasten, bringe alles wieder in Ordnung. Dabei entsteht der längste Running-Gag meines Jakobsweges. Luise aus Kanada, die mit uns kocht, ist begeistert über meine technische Fähigkeit einen Schalter zu drücken. Mein Vorschlag, mich am besten sofort zu heiraten bevor ich vergeben bin, schlägt sie aus. Leider ist sie schon verheiratet. Mein, nicht wirklich ernst gemeintes, Angebot entwickelt sich zu einem Dauerrenner auf dem Jakobsweg. Noch sehr viel später wird mir nachgetragen auf dringender Frauensuche zu sein.
Bis spät in die Nacht hinein bleibe ich mit Bianca in Sinins Bar und genieße die Lebensfreude des Einheimischen. Bianca kommt aus dem Süden Deutschlands und spricht wesentlich besser spansich als ich. Schnell hat ihr Charme alle in den Bann gezogen. Sie unterhält sich unermüdlich, jongliert Worte die ich nicht annähernd aussprechen kann. Sinin ist großzügig. Er spendiert eine Flasche Cidre, später dann noch eine Runde Bier und ich komme nicht nach mit dem Zählen, so viele kostenlose Tapas serviert er uns. Jedes Bier kommt mit einer Kleinigkeit zu Essen, so ist es bei Sinin Sitte. Außerdem singt, tanzt, pfeift und unterhält er sich mit seinen Gästen ohne Unterlass. Ich glaube ich habe mich noch nie in einer fremden Gegend so willkommen gefühlt. Lange lachen wir über die Schlipsträger des Dorfes, die aus der anderen Bar herauskommen, gekleidet als würden sie zur Kirche gehen. Sinin erzählt viel, so viel, dass es müßig
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