911
ausgebildet, bei General Motors an der Corvette mitdesignt (schon damals fuhr er einen 59er 356 Carrera), Ende der 60er Jahre bereits mit Ferdinand Piëch den Nachfolger des Porsche 911 entworfen, den sich Piëch als einen dreisitzigen Sportwagen mit vier, acht und zwölf Zylindern vorstellte, bei dem der Fahrer in der Mitte saß. Er hätte den Elfer 1973 ersetzen sollen, doch nach den Wechseln im Vorstand von Porsche wie bei VW wurde daraus nichts. Die Familie Porsche zog sich aus dem Betrieb zurück. Aus Porsche wurde eine AG und die Familie übte ihren Einfluss nur mehr über den Aufsichtsrat aus. Als Lapine den Ur-Elfer überarbeitete, geschah dies vor einem größeren Panorama an Möglichkeiten und es ist der feinsinnigen Detailgenauigkeit des Designers zu verdanken, dass dieses G-Modell weniger einen vonPiëch noch ersehnten Quantensprung bedeutete, sondern eine kritische Rekonstruktion des Urmythos im Geist des Minimalismus. »Um etwas zeitlos erscheinen zu lassen, muss man sehr viel Arbeit reinstecken«, erklärte Lapine 1986 in der »Stuttgarter Zeitung«. »Was meinen Sie, was Marlene Dietrich alles tut, um zeitlos zu wirken?«
Verglichen mit dem nachfolgenden 964er-Modell mit seinem ausfahrbaren Spoiler, seinen elektronischen Fahrhilfen, dem Allradantrieb, den wulstigen Stoßstangen vorne und hinten nahm sich der Carrera wie eine Renaissance-Skulptur aus. Die »Männer-Vogue« empfahl 1989 den Kauf des Klassikers von morgen, bevor der neue Elfer mit der Silhouette eines Hängebauchschweins in die Porsche-Verkaufshallen rollte.
Der Elfer wird stärker und schneller. Der nur 110 Mal gebaute Carrera RS 3.0 hat 230 PS, zwei Jahre später wird der 911 Turbo vorgestellt, der das Elfertum fahrdynamisch in eine andere Dimension versetzt. Der Turbo verstärkt das weiterhin neurotische Fahrverhalten des Heckantrieblers durch einen brachial einsetzenden Turboschub, der selbst erfahrene Porsche- und Sportwagenfahrer zu Beginn erschreckt. Renn-Ingenieur Peter Falk nennt den verzögerten Turboschub auf kurvigen Strecken fast kriminell, in jedem Fall aber »gewöhnungsbedürftig«. Für Walter Röhrl, der sich 30 Jahre später einen Turbo mit 3,3 Litern kauft, ist dieses Auto eine wunderbare Herausforderung, weil es von einem normalen Autofahrer eigentlich nicht beherrscht werden kann.
Der Vorläufer des Turbos war mitten in der Ölkrise auf der IAA 1973 in Frankfurt vorgestellt worden und sorgte im Gewand eines Carrera RS 3.0 für Aufsehen. Gut ein Jahr später auf dem Pariser Automobilsalon wurde der Turbonahezu in Serienreife präsentiert. Die Heckpartie war abermals breiter geworden, aus dem Entenbürzel des RS wurde ein monströser Heckspoiler, der bei jungen Porsche-Familien auch als Wickeltisch zum Einsatz kam. Statt Chrom gab es mattes Schwarz und jede Menge Rennsporttechnik aus dem RSR und dem Porsche 917. Die gestoppten 5,5 Sekunden von null auf hundert Kilometer pro Stunde waren zu diesem Zeitpunkt eine Sensation, die Höchstgeschwindigkeit jenseits der 250 Kilometer pro Stunde mehr als beeindruckend. Der Durchschnittsverbrauch von 20,9 Litern passte schon damals nicht mehr in die Zeit. Dennoch verkaufte sich – trotz anfänglicher Zweifel – der Turbo sehr gut, weltweit. Der Turbo Nummer 1 ging 1974 als Geburtstagsgeschenk an Louise Piëch. Der tausendste Turbo lief bereits ein Jahr nach Produktionsbeginn 1976 vom Band.
Das Auto der Ferkel
Vol. I
Bei Heinrich Böll, dem guten Menschen der deutschen Nachkriegsliteratur, fährt den Porsche ein Schwein. In dem Rührstück »Die verlorene Ehre der Katharina Blum«, 1972 veröffentlicht, wird mit dem Bösen auf dieser Welt abgerechnet, in Gestalt der Boulevardzeitung namens »Zeitung«. Der Boulevardjournalist Tötges, dessen schmierige Art in brechtscher Dimension monströs gezeichnet ist, fährt einen Porsche 911. Es ist die blecherne Krone eines verkommenen Lebens und Charakters. Aber auch der eher heldenhafte, romantische Terrorist stiehlt, kurz bevor er Katharina Blum kennen und lieben lernt, einen Porsche 911. Es ist ein Fahrzeug für Täter. Keines für Opfer. Es ist ein Ausrufezeichen für testosteronverseuchte Aggression. Ein verbindendes Element der beiden Männer, die das liebliche Wesen Katharina Blum ins Verderben stürzen. War der Elfer bisher ein Auto der Helden und eines heroischen Individualismus,wird der Porsche hier zu einem Dingsymbol und Begleiter des Gefährlichen, Bösen, ja Infamen.
Volker Schlöndorffs und Margarethe von Trottas
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