911
rollenden Festung der Reaktion: zum Anti-Käfer oder Anti-Volvo.
Wie deutsch dieser Zugang zu einer deutschen Ikone ist, verdeutlicht ein Blick auf ein Erzählungsfragment von Max Frisch, das dieser unter dem Titel »Skizze eines Unglücks« in seinem Tagebuch notiert hat. Darin wird die Geschichte einer Urlaubsreise in den Süden erzählt, die der Arzt Viktor mit seiner Geliebten Marlies unternimmt und die mit einem tragischen Unfall endet, bei dem die Frau auf dem Beifahrersitz stirbt. Viktor trifft keine Schuld, weil er Vorfahrt hatte, doch diese Entlastung durch die Polizei greift nicht, weil Viktor auf dieser Reise in die Provence, verunsichert durch die zweifelnden Fragen über den Fahrstil, zügigerund entschiedener fährt, als es eigentlich sein müsste. Sie schnallt sich nicht an, um ihn dazu zu bewegen, nicht noch schneller zu fahren. Sie macht ihm Vorhaltungen. »Immer ihr Blick aufs Tachometer gerichtet.« Auf der Autobahn zwischen Cannes und Saint-Raphaël fährt er 180, obwohl er ihr versprechen musste, nur 140 zu fahren. Er versteht ihre Angst als Zweifel an ihm. Er fährt so langsam, dass sie »jeder Volkswagen« überholt. Die Stimmung wird bedrückend. »Sie singt nicht mehr, er überholt nicht mehr, sie schweigen.« So rast das Akademikerpaar in eine Krise: Ihre Liebe erkaltet mit jedem Kilometer. Über das Auto selbst gibt es nur einen Satz: »Er fährt einen Porsche.«
Am Ende der Erzählung fahren sie in Montpellier auf eine Kreuzung zu. Die Beifahrerin macht Viktor auf einen Lkw aufmerksam. »Er hat den Lastwagen gesehen, aber nicht gebremst; er hatte Vorfahrt. Es kann sein, dass er sogar Gas gegeben hat, um zu zeigen, dass er sicher ist. Sie hat geschrien. Die Gendarmerie von Montpellier gab ihm recht.« Der Porsche-Fahrer gibt hier bestenfalls ein subtiles Feindbild ab, mehr noch wird ihm über die Erzählperspektive die Autorität des Autors verliehen. Er ist ein melancholischer Feingeist, der das Schnellfahren liebt, aber dessen Leben in dem Moment des Unfalls auseinanderbricht und der danach zwar Karriere bis zum Chefarzt macht, Frau und Kinder bekommt, aber die Schuld dieses Unglücks nie mehr von sich abtrennen kann. Porsche-Fahrer, das sind Menschen wie du und ich, insinuiert Frisch seinem anspruchsvollen Publikum. Es ist das Gegenteil einer Dämonisierung. Doch die lag gefälliger in der Zeit. Diese reagierte nicht mehr nur auf die soziale Spannung im Nachgang der Studentenbewegung, sondern auch auf die Erschütterung nach dem ersten Bericht des Club of Rome, der 1972 in bis dahinungewohnter Schärfe und Radikalität das Wachstums- und Wohlstandsstreben der westlichen Welt problematisierte und damit natürlich auch eine Krone des Luxus wie den Porsche 911. Ein Jahr später raubte die Ölkrise letzte Zuversicht, dass es mit dem Überbietungswettbewerb an Leistung und Geschwindigkeit beim Automobilbau so weitergehen könne. Die ersten postmodernen Verzichtsapostel erkannten die Zeichen der Zeit. Politische Progressive verabschiedeten sich vom Konzept des Fortschritts und vollzogen eine Kehre im heideggerschen Sinne, weg von der Technik, zurück zu den Wurzeln in der Natur. Da war ein Porsche 911 eine Provokation. Ein Monument von Zuversicht und Fortschrittsglauben, das in seiner zehnjährigen Produktionszeit derart sprunghafte Entwicklungen genommen hatte, die bei seiner Präsentation 1963 vollkommen undenkbar gewesen wären. Nicht nur in Deutschland verbreitete sich ein rigider Moralismus, der das Egalitäre elitefeindlich zuspitzte.
Selten minimalistisch:
der Heckspoiler
Die harmonische Idee des Miteinanders beginnt in den 70er Jahren aber auch auf der anderen Seite einzureißen. Waren nach der Währungsunion in Deutschland alle mit denselben 40 Euro und der Illusion einer absoluten Gleichheit der Startbedingungen gestartet, entwickelte sich in den 70ern die Gesellschaft verhalten, aber dennoch entschieden auseinander, mit ihr Anspruch und Märkte. Porsche erfuhr, dass vermeintliche Nischenprodukte nicht nur im Land, sondern weltweit imponierenden Absatz fanden. Das minimalistische Konzept des Porsche musste demnach Schritt für Schritt aufgegeben oder zumindest in seinem Purismus relativiert werden. Am Traditionsbruch führte kein Weg vorbei. Die Leistungswerte des 911 Carrera RS zwangen die Ingenieure und Karosseriebauer, der Urform des Elfers ungewöhnlich viel zuzumuten. Weil dieses Fahrzeug große Teile seiner Leistungs-DNA aus dem Rennsport bekam, kam Porschenicht umhin, im
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