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911

911

Titel: 911 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Poschardt
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Schießerei ist Baader schwer verletzt und die anderen beiden können abgeführt werden. Die Filmaufnahmen der Festnahme zeigen ein 29jähriges Wrack, das aussieht wie Mitte 40. Die Wahl der Autos legt nahe, dass Baader es darauf angelegt hat. Sie geben dem nihilistischen Terror, der größenwahnsinnigen Ideologie und dem stumpfsinnigen Alltag im Underground eine campe Note. Sie sind letztes Augenzwinkern eines Schwabinger Strizzis, den die politischen Erschütterungen seiner Zeit in den Terror abrutschen ließen.
    Eigentlich wollte Baader zum Film, heißt es in einer der vielen liebevollen Annäherungen an den Terroristen. In den Schwabinger Programmkinos lief in den späten 60er Jahren Russ Meyers »Faster Pussycat! Kill! Kill!«, in dem die Heldin Varla, ganz in Schwarz, in einem schwarzen Porsche 356 ihren Unfrieden mit der Welt in heilloser Gewalt austobt. Die Männer in diesem Film sind, wie so oft bei Russ Meyer, schwache, verführbare Objekte der Begierde, die von denFrauen in jeder Hinsicht benutzt werden können. Die Geschlechterrollen sind vertauscht und dass die drei Heldinnen des Films mit einer heiteren, aber schnellen Verfolgungsjagd eingeführt werden, setzt ein Zentralmotiv, dem der Film bis zum Ende treu bleibt: das Auto als ein lustvoll anzusehendes Mordinstrument. Dass Varla den Porsche von Russ Meyer fährt, hat nicht nur mit Kostengründen zu tun, sondern auch damit, dass das Autonomiestreben der Heldin mit dem des Filmemachers zusammenfällt. Gefragt, was sie will, antwortet sie entschieden: »Alles – oder zumindest, soviel ich bekommen kann.«
    Ihr Tod steht am Ende des Films. Varla war eine Zeitreisende. Ihr dramatisches Make-up, die schwarzen Haare, die pechschwarze Kluft und der schwarze Porsche parodieren die Düsterkeit des Existentialismus und die Rastlosigkeit der Beatniks. Varlas Hipstertum ist gekippt: Aus der ästhetischen Geste der Auflehnung, wie sie ihre kulturellen Vorbilder noch als Kitzel verspürt haben, wird bei ihr nackte Gewalt. Die Abrechnung mit dem Rest der Welt soll real werden. Sie plädiert für den Terror als Theater der Grausamkeiten und Russ Meyer, der deutschstämmige Polizistensohn, arrangiert dies 1966 kühl und mitleidslos. Der Sportwagen war zu dieser Zeit in Filmen wie »Vanishing Point« (Fluchtpunkt San Francisco, 1971) ein Vehikel der Flucht und des Außenseitertums oder wie in »Harold and Maude« (»Harold und Maude«, 1971) der zum Leichenwagen umgebaute Jaguar E-Type ein Symptom aufreizender Dekadenz und Mainstream-Verachtung. Nach dem Scheitern der Rebellion und des Aufbruchs der späten 60er Jahre bleibt die Flucht, ohne wirklich tieferen Sinn und Zweck. Kowalski, der baadersche Held in »Vanishing Point«, rast am Ende mit Drogen vollgepumpt als Außenseiterheldmit Vollgas in eine Polizeisperre und atomisiert sich und sein mechanisches Double als letzten Höhepunkt einer existentiellen Reise ins Nichts, die dem Film als Narrativ Struktur verleiht. Anders als die introvertierte Geste des Intellektuellen bei der Selbstzerstörung bieten Varla, Kowalski und später auch Baader eine filmische Dramaturgie an. Baaders Entschluss, einen quietschgelben 911 S zu stehlen und ihn lila umzulackieren, geht als exzentrische Note durch, ihn als überall gesuchter Staatsfeind Nummer 1 gegen die Richtung der Einbahnstraße in einem eher bürgerlichen Viertel Frankfurts in früher Morgenstunde mit lautem Motorgekreische zu bewegen, kann nicht anders als eine Form existentialistischen Roulettes interpretiert werden. Es hat wenig mit irgendeiner Revolution im Geiste der linken Klassiker zu tun, es ist eine fiebrige Sehnsucht nach absoluter Überschreitung. Dass in der Garage, wo Baader und seine eher dem Bild des Revolutionärs entsprechenden Genossen verhaftet werden, ein noch exklusiverer Sportwagen wartet, deutet ein Delirium an. Baader, der Autodieb, hat wie Jean-Paul Belmondo in Godards »Außer Atem« die Kontrolle über sich, sein Leben und die ihm verstört folgenden Einser-Abiturienten mit Lenin-Spleen verloren.
    Auf dem Cover jenes Bildbandes, den Schlegelmilch seiner Lieblingsfirma Porsche gewidmet hat, glänzt ein 964er Turbo im Abendlicht. Eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang zeigt er seine sinnlichen Rundungen. Licht und Schatten schaffen sinnliche, laszive Wellen und Täler, die ohne sonderlich ausschweifende Fantasie mit der Körperlandschaft einer jungen, sportlichen Frau in Verbindung gebracht werden können. Damit berührte der Elfer auch die

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