911
Boden, die Lehrerin wird aufmerksam und sieht, dass der Junge dem Unterricht nicht folgt. Sie ermahnt den Jungen, die Klasse lacht ihn aus. Als er später – zur Strafe? – in der Bibliothek sitzt, zeichnet er einen Porsche 997. Mit dem Läuten der Schulklingel stürmt William zu seinem Fahrrad und rast durch ein ziemlich gepflegtes, bürgerliches und wohlsituiertes Viertel in das nächstgelegene Porsche-Zentrum. Dort fragt er nach dem neuen »nine eleven« und der freundliche Verkäufer bittet ihn, in dem silbernen Porsche Platz zu nehmen. William genießt sein Glück andächtig. Als er aussteigt, bittet er den Verkäufer um seine Visitenkarte und kündigt an, dass er in 20 Jahren wieder vorbeischauen werde. Bei diesem Porsche-Spot ist der »puer senex«, der greise Knabe, schon in Besitz jenes Wissens, das ihn bald zum Porsche-Kunden machen wird. Er weiß, wer er ist und was er will. Das Gelächter seiner Klassenkameraden scheint ihm egal zu sein. Die Autorität der Lehrerin erkennt er nicht wirklich an. Der von ihr geschwungene Zeigestock erregt seine Furcht nicht, eher verschreckt ihn, dass diese Kontrollinstanz ihn aus den Träumen reißen kann und darf.
In einem anderen amerikanischen Porsche-Film konfrontiert der Sohn, in etwa so alt wie William, den Vater mit den alten Träumen. Der Junge lebt in einer modernistischen Villa hoch über der Stadt, sein BMX-Rad hat einen platten Reifen und so sucht er in der Garage nach einem neuen Schlauch. Dabei entdeckt er eine Kiste mit alten Fotos, die einen roten Ur-Elfer zeigen: Papas erster Porsche. Daneben steht in der Garage ein neuer 997er. Der Vater überrascht den Sohn beim Studium der Bilder und erzählt ihm, wie erals junger Mann den Elfer einst in einer Scheune verstaubt und heruntergekommen entdeckte, um ihn aufwendig zu restaurieren. Am nächsten Morgen findet der Vater eine Kiste mit Bastelmaterial für einen Modell-Ur-Elfer auf dem Dach des neuen 997ers. »Don’t forget« hat der Junge auf ein Post-it gekritzelt und auf das Geschenk geklebt. Der Junge erinnert den Vater an den Jungen in ihm, als er seine Leidenschaft entdeckte. Der Sohn präsentiert sich als Hüter der Flamme. Die deutsche Porsche-Werbung hat sich filmisch auch einmal an das Thema der Jugendliebe 911er gewagt und ist episch daran gescheitert. Titel: Klassentreffen. Langweiliger Kram.
Unvergleichlich, so schwärmt der jung zum Porsche-Besitzer Gewordene, ist es, wenn der Erwerb des ersten Elfers noch in Fühlweite der Ursprungseuphorie passiert, wenn der Elfer-Fan, der die Jugend gerade hinter sich gelassen hat, das zäh verdiente Geld aus dem Sparbuch räumt und sich den günstigsten Einstiegs-Gebrauchten kauft, der – was Laufleistung und Zustand betrifft – ein sorgenfreies Leben verspricht. Wenn sich nach mehreren Besichtigungen und Probefahrten das Bild lichtet und klar ist, welcher Elfer es werden wird, gerät der Gang zur Bank zu einem unvergesslichen Erlebnis mit weichen Knien, zittrigen Händen und belegter Stimme. Die ältere Dame am Bankschalter fragt, ob alles okay ist. Und weil es mehr als das ist, antwortet der junge Mann: Ja, sehr. Mit dem Geld in der alten Schultasche, die es auch während des Studiums zum stetigen Begleiter gebracht hat, fiebert der junge Mann dem Abendtermin entgegen, bei dem der enttäuschend dünne Papierumschlag mit den – sagen wir – gut 20.000 Mark gegen einen Porsche 911, Baujahr 1977, mit 165 PS in Weißgetauscht wird. Der Kaufvertrag wird unterschrieben, der Kfz-Brief wird übergeben und dann auch die Schlüssel. Ein kurzes Händeschütteln und dann geht der junge Mann, der gefühlt seine gesamte Kindheit und Jugend auf jenen Augenblick zugesteuert hat, zu dem weißen Elfer, der aus dem geparkten automobilen Allerlei heraussticht. Er öffnet die Tür und setzt sich. Ihm ist schlecht, er strahlt, er kann es nicht glauben. Er glaubt, es ist ein Wunder, er hat Angst, aufzuwachen und zu merken, es ist ein Traum. Er steckt den Schlüssel links in das Zündschloss. Er fasst alle Kraft zusammen und dreht um. Krachend springt der Sechszylinder-Boxer an. Der Druck auf das Gaspedal lässt den Motor aufheulen. Das ist jetzt deins! Dein Elfer. Der erste Gang wird eingelegt, behutsam ausgeparkt und die schönsten hundert Meter in einem Auto sind zu schnell vorbei.
Es wird nie mehr so sein wie beim ersten Mal. Immer noch schön, aber nie mehr so fundamental erschütternd wie beim ersten Mal. Das klingt pathetisch, ist es auch. Porsche-Freunde sortieren
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