911
in Wien alles voll davon.« Nach seinen ersten Erfolgen auf dem Kunstmarkt kaufte er sich einen alten blauen Elfer aus dritter Hand, den er – wie Medien gerne berichteten – unübersehbar in den Hof der »Angewandten« in Wien parkte, wo er ab 2002 als Professor unterrichtete. Für sein erstes Fat Car nutzte er ein gebrauchtes Carrera Cabrio als Fundament. Einen neuen Porsche hat er sich nicht leisten können. Um ein 911 Cabrio für die erste große Fat-Car-Skulptur zu finanzieren, hat er Modelle der Skulptur verkauft. »Ich bin Künstler, ich lebe ja davon, dass sich die Arbeiten verkaufen«, wie er schmunzelnd bemerkt. Obwohl und weil er die Form des Elfers großartig fand und findet, waren nicht die skulpturalen Qualitäten des Autos ausschlaggebend, sondern die Möglichkeit, dieses Fahrzeug zu dekonstruieren. »Durch das Fettwerden soll die Form des Elfers zerstört werden.« Dass der Elfer im Gegensatz zu anderen Sportwagen eher schmal und zierlich ist, war aber hilfreich. »Es hat keinen Sinn, ein Auto dick zu machen, das schon dick ist. Deswegen habe ich auch keinen Turbo oder einen 4 S genommen mit dem breiten Heck«, wie Wurm betont. Am liebsten hätte er den 550 Spyder von James Dean gehabt, aber diese Idee war unbezahlbar.
Als soziales Zeichen wahrgenommen, war der Porsche aber ein »fettes Auto«. Ein »Bonzenauto, wie man in den 70er Jahren sagte«. In einer Welt, in der sich Menschen über Besitz definieren und ihre monetären Möglichkeitenunübersehbar offenlegen können, war der Porsche ein »Statement des Wohlhabenden wie Sportiven«.
Als Produkt aus Mitteleuropa, mit dem man sich identifizieren konnte, blieb der Porsche ein gleichermaßen besonderes wie unaufgeregtes Zeichen. Ein exotisches Auto wie ein Lamborghini hätte die Interpretation der Skulptur in eine ganz andere Richtung treiben lassen. Die dicken Autos wurden zu einem großen Erfolg für den österreichischen Künstler. Werbeagenturen weltweit klauten die Idee der fetten Autos, bis Wurm anfing, mit Klagen dagegen vorzugehen. Von Porsche selbst hat er nichts gehört. Die waren offensiv desinteressiert an seinen Arbeiten. Als er dennoch den Kontakt mit Porsche suchte, gab es eine brüske Zurückweisung, die ihn verwunderte.
Eigentlich war und ist Porsche für Schriftsteller ein Tabu. Da ist sich der Porsche fahrende Brecht-, Kleist- und Toller-Preisträger Albert Ostermaier ganz sicher. »Das dürfen Maler, da findet man solche Autos aufregend, das dürfen Schauspieler, Regisseure, aber Schriftsteller, Dichter, nein, das ist Verrat, Verrat an der Kunst, der Wahrheit, an allem, was dem Feuilleton heilig ist und nur für andere gilt. Der Dichter war auf das Spitzweg-Bild festgelegt, mit aufgespanntem Regenschirm im Bett liegend, und durfte höchstens im Geiste rasen. Dabei sind Porsche und Poesie eine herrliche Alliteration und Tabus müssen gebrochen werden. Aber ich musste mich erst von allen Fremdbestimmungen befreien, bis ich mir meinen ersten Porsche kaufen konnte, ohne ihn hinter einer Sonnenbrille zu verstecken. Und ich musste sehr lachen, als ich kurz danach im Kino saß und auf der Leinwand der legendäre Satz fiel: ›Männer in der Krise kaufen sich einen Porsche‹. Porsche hat mir ausder Krise geholfen, weil ich mir selbst erlaubte, das zu dürfen und mich nicht mehr kümmern zu müssen, was man dazu sagt.«
Welche Krise das ist, lässt Ostermaier offen. Der Porsche hat in jedem Fall geholfen. Wie Cookie und Rinke ist Ostermaier ein großgewachsener, nicht nur in Frauenaugen ziemlich ansehnlicher Mann. Auch intellektuell muss er sich nicht größer machen, als er ist. Aufgewachsen ist er in einer Familie, die seit Generationen BMW fuhr. Er hat als Junge nie mit Autos gespielt. Die einzigen luftgekühlten Flitzer, für die sich Ostermaier interessierte, waren in den Kinderjahren Uli Hoeneß und Kalle Rummenigge. Das wichtigste am Auto war für ihn das Heck, wo er seinen FC-Bayern-Aufkleber plazieren konnte. »Meine Mutter«, erinnert sich der Starnberger, »fuhr immer den schnellsten BMW und seitdem ich schon als Kind ›on the road‹ war und im Wäschekorb von der einen Seite zur anderen gejagt wurde, wurde Geschwindigkeit für mich schnell etwas sehr Beruhigendes und ich bekam ein Gefühl für Tempo und wie unerträglich schwer es mit Menschen ist, die einem zu langsam sind. Aus Treue zu BMW musste ich Porsche ignorieren. Aber das hielt nicht stand, denn jeder, der ein Empfinden für Schönheit mit in die Wiege gelegt
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