911
mitteilt, wie viel Geld er verdient, wie geil er drauf ist und wie sehr er von dieser Umgebung, den anderen Menschen, bewundert werden will.
Ein Blick auf das Datum des Romans erklärt die etwas bittere Note des Werkes. Der Text erscheint 2009 und ist – wie die Kritik interessiert zur Kenntnis nimmt – eine schnelle Reaktion auf die Finanzkrise, so wie Böll eine Reaktion auf Deutschland in Zeiten des RAF-Terrors (Oder sollte mansagen des »Bildzeitungs-Terrors«?) war. Im »Spiegel«-Interview zum Roman stellt sich der Autor als Wirtschaftsexperte vor. Schon als jugendlicher Eisverkäufer in den reichen amerikanischen Vororten ahnte Kirchhoff, dass dieser Wohlstand auf tönernen Füßen stand. Derlei wird ohne Ironie vorgetragen. Gesellschaftskritik, in der man die Verkommenheit der Protagonisten am Porsche-Spoiler erkennt, argumentiert ausschließlich moralisch.
Veranstaltet die linke, ökologisch korrekte Tageszeitung »taz« in Berlin einen Kongress, darf auf einem Panel zu Lebensstilen ein Porsche-Fahrer als ein zu bestaunendes und zu bemitleidendes Geschöpf auftreten. In dem Kirchhoff-Roman ist wie bei Böll und den entsprechenden Verfilmungen der Fluss der Gedanken mit einem niedrigen Tempolimit versehen. Vom Porsche selbst versteht Kirchhoff nicht allzu viel. Er selbst fahre einen gebrauchten Jaguar mit kleinen hölzernen Tabletts, die sich herausnehmen lassen, wie er im Interview gesteht. Seine Romane schreibt er in Frankfurt mit Blick auf die Hochhäuser der Banken und von seiner Wohnung aus sieht er die Banker morgens mit ihren Porsches über die Mainbrücke donnern. Er glaubt, diese Stuttgarter Sportwagen seien die kleinen Dienstwagen der Banker. Bezeichnenderweise ist auf dem Cover der Taschenbuchausgabe dann auch ein am Heck demolierter Boxster zu sehen, aber es ist eigentlich egal, welcher Porsche bei diesem Roman gemeint sein könnte, abseits des zerstörten Genitals des Helden. Die »Frankfurter Rundschau« jubelte: »Bodo Kirchhoff gibt’s den Porsches dieser Welt.« Das muss reichen.
Egal wie populär die in dem Roman bestätigten Vorurteile gegen den Elfer-Fahrer sind, sie lassen sich rückblickend auch als ein fernes Echo jener Börsenaktivitäten lesen, mitdenen der damalige Porsche-Chef Wiedeking sich gnadenlos verzockte. Der ehrgeizige und durchsetzungsstarke Automanager begann 2005 mit unschuldig anmutenden Beteiligungen am VW-Konzern, die dank der blühenden Geschäfte vor der Finanzkrise sogar die Übernahme von VW durch Porsche denkbar werden ließen. Im Mai 2008 gab der Aufsichtsrat das Okay, VW zu übernehmen. Dann kam die Finanzkrise, der Zusammenbruch der Aktienkurse, das Einknicken der Konjunktur, die Panik bei den Managern von Porsche, die zehn Milliarden Euro Schulden gemacht hatten, um Volkswagen zu übernehmen. Trotz frischem Kapital aus Katar drohte dem Sportwagenhersteller erneut das wirtschaftliche Aus. Im Juli 2009 wurde Wiedeking mit einer saftigen Abfindung von 50 Millionen Euro entlassen. David hatte gegen Goliath verloren, wohl auch, weil David anders als im Alten Testament Goliath unterschätzte und sich selbst überschätzte. Der Erfolg hatte die Sinne leicht getrübt. Auf einer Metaebene wurde dem Elfer-Fahrer, der in der Regel für sein Leben die Berufsrolle des »Erfolgsmenschen« wählte, ein Lehrstück davon geliefert, wie schnell ein Leben auf der Überholspur auch kippen kann.
Das erste Mal
Nur die wenigsten Besitzer eines 911er können sich wirklich genau daran erinnern, wann die Silhouette des Sportwagens oder die seines Vorgängers als Erscheinung in ihr Leben trat. In der Regel, und das beweisen auch die Dutzende von Interviews, die in Vorbereitung auf dieses Buch geführt wurden, geschah dies in der frühen Kindheit. Bei vielen Jungs (aber auch Mädchen) war es danach um sie geschehen. Die Porsche-Werbung rekurriert immer wieder auf diesen magischen Moment und stellt die Erinnerung an jene Sehnsucht der Kindheit in das Zentrum der Verklärung der Glücksmomente, die der Porsche 911 auch dem erwachsenen Kunden noch pausenlos bescheren kann.
Der kleine William, er dürfte ungefähr zwölf Jahre alt sein, sitzt in einer Geographiestunde und wirkt leidlich interessiert am Unterricht, als ein schiefergraumetallicfarbener Porsche 911 an der Schule vorbeifährt. William blickt wiemagisch berührt dem röhrenden Elfer hinterher, der in dem Werbefilm des Jahres 2005 in Zeitlupe an den gierig blickenden Augen des Jungen vorbeifährt. Williams Stift fällt zu
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