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Aasgeier

Aasgeier

Titel: Aasgeier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter J. Kraus
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Ricky vergaß sofort seinen Schmerz, lief zu ihr und umarmte sie, noch ehe er zu meiner Mutter rüberschaute. Hatte die alte Realistin noch immer ihren Bestechungsdreh! Freute mich für sie.
     
    „Jon, ich habe doch dieses kleine Haus in Cuyama. Da war ich schon ewig nicht mehr; überhaupt benutze ich es nicht, aber ich will´s nicht verkaufen, weil es eh nicht viel bringt. Der Gordon Ramirez vom Lebensmittelladen kümmert sich darum – du kannst es gern benutzen, wenn es dir nicht zu weit entfernt ist.“
    Spitzenklasse. Cuyama war nur eine Autostunde von der Küste, aber so weit vom Schuss, wie ich mir nur wünschen konnte. Als company town von der Standard Oil gegründet, lebten dort gut verdienende Ölfeldarbeiter. Aber als die Förderung immer mechanisierter wurde, immer weniger harte körperliche Arbeit verlangte, sondern aus klimatisierten Räumen an der Küste oder irgendwo in der Großstadt gesteuert wurde, da zogen die Spitzenverdiener fort und ihre Häuser wurden an landwirtschaftliche Hilfskräfte vermietet, an ziemlich die einzigen Menschen, die in der Einöde noch bezahlte Arbeit hatten. Seither verkam das Dorf, und das Häuschen am Dorfrand, das Richter Holloran angeblich brauchte, weil er einmal wöchentlich in Cuyama Gerichtstag hielt und abends nicht die kurvenreiche, enge Landstraße nach Hause fahren wollte, verkam nach seinem Ableben ebenso. Hatte meine Familie das Mobilheim am Strand, das an den untreuen Vater erinnerte, war die Witwe H. mit einem ererbten Liebesnest im flachen, staubigen, wüstenheißen Cuyama gesegnet.
    Wir aßen noch zu Abend, unterhielten uns eine Weile, Mrs. Holloran schrieb mir Anschrift, Telefonnummer und den Namen ihres Hausverwalters auf, gab mir einen Schlüssel und rief Mister Ramirez an, damit er zwei Betten bezog und ein paar Fenster aufklappte. Na also. Ich hatte sie noch gebeten, mich bei Ramirez als Alex Madonna vorzustellen. Witwe Holloran kannte mich, hatte mir zeitlebens alles ungefragt verziehen. Sie fragte auch diesmal nicht. Um halb elf schnappte ich meinen schlafenden Sohn und verabschiedete mich von den beiden Damen.
     
    Wir kamen um Mitternacht an. Der Rasen war braun und tot, die paar Büsche vor der Bude sahen arg rachitisch aus, die Bretter, die das Haus verkleideten, schienen im Mondlicht seltsam aufgeworfen und stellenweise leuchtend. Hm. Ich stellte den Jeep in die Garage, schloss die Hintertür des Hauses auf und trug Ricky hinein. Die Bude roch muffig.
     
    Die Sonne weckte mich. Sie schien durch die weiße Häkelgardine, traf meine nackte Brust auf dem breiten Bett und schmerzte, als ich die Augen öffnete. In Cuyama brannte die Sonne ungefiltert. Weshalb es mit Tankstelle, Restaurant und Puff als prima Zwischenstation für die vielen Lastwagen galt, die zwischen Küste und dem ländlichen Bakersfield verkehrten, aber hier wohnte nur, wer sich woanders nichts leisten konnte. Ich schaute auf die Uhr – halb neun. Das Thermometer vorm Fenster zeigte 36 Grad Celsius. Es würde heute warm werden.
     
    Ramirez hatte Kaffee, Kondensmilch, Zucker und ein etwas angestaubtes Päckchen Maisflocken auf den Küchentisch gestellt. Feiner Mensch, der damit auch seinen Lebensmittelladenumsatz ankurbelte. Denn ich bin ein ausgesprochen treuer Kunde. Wer mir Gutes tut, dem erwidere ich die Liebenswürdigkeit. Also gingen Ricky und ich nach dem Frühstück durchs Dorf zum Lebensmittelfritzen und kauften erstmal ordentlich ein. Dann spannte ich das Sonnensegel im Garten zwischen Haus und Garage. Hier konnte ich sitzen und lesen oder arbeiten, Ricky konnte im Schatten des Segels spielen, und es war noch genügend Platz vorhanden, um das Auto kühl zu halten.
    Ich schlug das salzgewordene Kondensat von den Verdunstungskühlern, die in jedem Fenster hingen und gegen die ständige Hitze ihr Bestes versuchten. Dann probierte ich den Fernsehapparat aus, der verblüffenderweise ging. Ramirez hatte geraten, aufs Dach zu klettern und an der Antenne zu rütteln, falls kein Bild käme. Funktionierte aber einwandfrei. Mein Sohn freute sich am meisten über den Fernseher, denn er liebte einen grünlich-gelben, rechteckigen Schwammkerl, der Sponge Bob Square Pants hieß, mehrmals täglich gesendet wurde und als vollendeter Anarchist allerlei revolutionäre Sachen trieb. Den kannte er als mexikanischen Bob Esponja von zu Hause und konnte sich noch immer nicht kriegen, dass der hier englisch sprach. „Wie du ja auch,“ sagte ich ihm, was er eine Weile überlegte und dann

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