Ab ins Bett!
ist.«
»Daß du zum Fitneß gehst?«
»Nein. Daß ich so tue, als wäre ich... ein Intellektueller.« Er mustert mich von oben bis unten. »Mein Körper ist nicht spindelig genug dafür.«
»Red keinen Scheiß«, sag ich. »So borniert bist du auch nicht. Mit einer breiten Brust kann man auch ein paar Gedanken haben.«
»Sehr gut.«
»Danke. Und sowieso. Ein echter Stiernacken glätte nie das Wort >spindelig< benutzt.«
»Sondern welches?«
Ich überlege eine Sekunde.
»Dürr«, sage ich schließlich.
Er nickt und trinkt noch einen Schluck. Er scheint darüber nachzudenken, ob er etwas ansprechen soll oder nicht.
»Gabe«, sagt er endlich. »Weißt du, wo ich am Samstag war?«
»In der White Hart Lane?«
»Nein, davor. Vormittags.«
»Nein. Sollte ich es wissen?«
»In der Synagoge.«
Ach du Scheiße.
»Synagoge? In welcher?«
»Der Vereinigten.«
»In St. John’s Wood? Wo wir unser Barmitzvah hatten?«
»Jaah.«
Ich stoße einen Pfiff aus; was ich, um ehrlich zu sein, nicht besonders gut kann, weshalb es eher wie ein lautes Schnaufen klingt.
»Ist Louis Fine immer noch Rabbi dort?«
»Jaah. Hält einem immer noch seine Predigten, daß es nicht reicht, nur an Rosh Hashanah und Yom Kippur in die Synagoge zu kommen.«
»Und...?« sage ich. »Wieso bist du hin? Wolltest du über das Stück aus der Thora diskutieren, das du mit dreizehn gesungen hast?«
»Nein. Ich habe sowieso nie gewußt, was ich da sang. Er hat es mich auf Papageien-Art gelehrt.«
»Na besser, als wenn er’s dir eingebumst hätte.«
Ben haut seine Handflächen mit einem Überraschungsschlag à la David Letterman auf die Armlehnen des Sessels.
»Ho -ho!«
»Aber wieso bist du dort gewesen?«
»Ich weiß nicht, wollte wohl bloß mal sehen, wie es so ist.«
»Erinnerst du dich etwa nicht mehr?«
»Doch. Natürlich. Ich weiß noch, wie ich mich immer furchtbar langweilte. Aber ich wollte sehen, wie es jetzt ist, wo ich alt genug bin, es zu würdigen.«
»Ist Alice mitgekommen?«
»Nein«, sagt ihre Stimme, bei deren Klang ich mich instinktiv umdrehe. Alice ist zurückgekommen. »Sie lassen keine Bimbos rein, oder etwa doch?«
»Und was ist mit Sammy Davis Junior?« sage ich.
»Der ist tot«, sagt Ben.
»Das gilt für fast all die Auserwählten, oder nicht?«
»Jaah, jaah.«
»Nein, ehrlich. Was beschäftigt dich? Waren wir uns .darüber nicht klar? Unser Jüdischsein, was soll’s?«
»Ich weiß, wie du darüber denkst.«
»Wie ich darüber denke? Plötzlich ist es nur meine Ansicht?«
»Ach, laß doch deine rhetorischen Fragen. Wenn du dein Jüdischsein schon verraten mußt, dann hör wenigstens auf, so jüdisch zu klingen.«
»Einen Vorteil hat es, wenn man jüdisch erzogen wurde«, sage ich und fahre unbeirrt mit meinen gut einstudierten Gedanken fort. »Man findet das ganze jüdische Brimborium... «
»...wirklich komisch, wenn man älter wird«, beendet Ben meinen Satz mit gelangweilter Stimme und geschlossenen Augen.
»Stimmt. Sobald man ein bißchen Distanz dazu hat, wird einem klar, wie hysterisch diese Religion ist. Ein Glaube an komische Hüte, alberne Westen und Singsang. Alice, mag ja sein, daß du einen weiten Erfahrungshorizont hast, aber du wirst nie wissen, was für ein Riesenspaß es ist, Hud Gudyor zu singen... «
»Das ist das letzte Lied beim Passahfest«, erklärt ihr Ben.
»...wie du dich kaputtlachst, wenn du heute Hud Gudyor singst und dich erinnerst, wie ernst du es mit vier genommen hast.«
»Oje«, sagt Alice lachend. »Wie öd und freudlos ist mein Leben! Essen ist in zwei Minuten fertig.«
Sie geht wieder raus. Ben guckt mich mit einer eigenartigen Mischung aus Resignation und Besorgnis an. Offenbar ärgert er sich über mich, traut sich aber nicht, mir ernsthaft mit seinen Ansichten zuzusetzen.
»Und deshalb werde ich meine Kinder jüdisch erziehen«, sage ich. »Ich will doch nicht, daß ihnen all die Lacher entgehen.«
Ich gucke ihn an. (Wie David Copperfield sieht er aus, jetzt fällt’s mir wieder ein.) Er fährt sich mit den Fingern durch sein dichtes Haar. Irgendwas liegt ihm schwerer auf der Seele, als dieses kindische Gespräch vermuten läßt. Ich spüre, daß er es nicht fortsetzen will.
»Und - hast du darüber nachgedacht?«
»Worüber?«
»Den Job.«
Ich will gerade kategorisch ablehnen, als Alice zurückkommt. Sie trägt schwarze Leggings und einen weiten weißen Wollpullover. Ich finde, genau so sollten Frauen sich immer anziehen. Sentimental wie ich
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