Ab ins Bett!
er wäre weg.«
»Komm, wir werden’s schon noch auf die Reihe kriegen, was genau passiert ist«, sage ich und schiebe Nick aus der Schlafzimmertür durch den Flur an meinen verstreuten Kleidern vorbei. Wie ich geargwöhnt hatte, liegen im Wohnzimmer die eine Flasche Wein und drei Schnapsflaschen, die einst unseren nicht gerade gut bestückten Getränkevorrat bildeten, leer und kreuz und quer auf dem Teppich herum wie Patronenhülsen an der Somme. Als ich Nick streng ansehe, fängt er an zu lachen. Aber es ist kein richtiges Lachen, kein »Man muß die Dinge von der komischen Seite nehmen«-Lachen, nein: ein verrücktes, ein Roboterlachen. Es ist nicht ansteckend. Ich rüttele Nick an den Schultern. Mein Blick prallt von dem Neonflackern in seinen Augen ab.
»Nick, Kumpel. Nick.« Er schüttelt sich am ganzen Körper und schnappt nach Luft. »Wohin bist du abgedriftet?«
10
Wer sind all diese Leute? Peter Peter Tao. C. Hook. Bafnia Software Consultants. Dr. Phil. Ugo Cindetta. Smidgy. Heute sind für alle Briefe in unserem Kasten. Jeden Tag ist wenigstens für einen ein Umschlag dabei, manchmal für zwei, aber heute kriegt der ganze Verein Post. Und während die Zeit verstreicht und die Berge der nicht weitergeschickten Post immer höher werden, habe ich mir im Geiste ein Bild von jedem gemacht. Peter Peter Tao, ein ruhiger, bescheidener koreanischer Gentleman. Seine Eltern waren versessen darauf, ihre Kinder zu verwestlichen, hatten aber in ihrem ganzen Leben nur einen englischen Vornamen gehört. Die Briefe an ihn sind immer offiziell, nie persönlich, wie sein Leben. Er trägt eine Magritte Melone und arbeitet bei Unilever. C. Hook ist eine Frau — Catherine. Empfängerin von ausschließlich roten Letzte-Mahnungen, drogensüchtig, schmiß das College, um Baßgitarre in der Band zu spielen, die sich, kurz nachdem sie Catherine abserviert hatten, weil sie auf der Bühne in Tränen ausgebrochen war, Elastica nannte. Bafnia Software Consultants wählten den nach Großunternehmen klingenden Namen — Bafnia — um die Tatsache zu verbergen, daß sie von einem Zweiterstockapartment in Kilburn aus operierten. »71b Streatley Road Software Consultants... tut mir leid Jack, das macht nichts her.« Die Consultants bekommen nur sehr selten Post. Mit 99 prozentiger Wahrscheinlichkeit waren ihre letzten Tage von entschlossenen jungen Männern aus dem Inkasso-Geschäft getrübt, die an die Tür klopften und riefen »Mr. Bafnia? Mr. Bafnia? Wir wissen, daß Sie da sind, Mr. Bafnia!«
Ugo Cindetta, Ph.D. ist nach dem endgültigen Scheitern seiner recht umstrittenen Ehe mit einer seiner Studentinnen in seine Heimat Italien zurückgekehrt. Der Name auf seinen Umschlägen sieht manchmal wie mit zittriger Hand geschrieben aus - sie will wieder Kontakt mit ihm aufnehmen und ahnt nicht, daß sie fast ein ganzer Kontinent von ihm trennt. Schreibt sich wahrscheinlich die Wunden von der Seele. Ob sie neu aufbrechen würden, wüßte sie, daß ihre Briefe ungeöffnet oben auf unserem Kühlschrank liegen? Und Smidgy, der nur Post aus einer Quelle erhält, einem Briefeschreiber in Burma, ist, da bin ich mir sicher, der Spitzname eines Ex-Privatinternats-Schülers, dessen alter Stubengenosse -Flipper, würde ich tippen, oder vielleicht Basho -, mittlerweile im diplomatischen Dienst tätig, ihm muntere und gelegentlich sogar satirische Polemiken über die Bürokratie und Korruption in Südostastien schreibt; daß sie sich weiter mit ihren Spitznamen anreden, ist ein ferner, schwacher Nachhall auf die Intimitäten der alten, cricketgrünen Tage.
Ich lege die Briefe, ungeöffnet, oben auf unseren Kühlschrank. Demnächst müssen wir einen neuen Stapel anfangen. Ich sortiere die beiden Sachen aus, die wirklich für mich sind. Den Brief von einem Altersheim in Edgware erkenne ich sofort. Meine Großmutter lebt dort. Das andere ist eine Fotopostkarte mit George Best drauf, George Best, als er noch die coolste Person der Welt -als er Elvis war. So wie er sich umdreht, um einen Fotografen am Spielfeldrand anzugrinsen, weiß er haargenau, daß sein Lächeln den Fußball im Hintergrund in den Schatten stellt. Die Schrift auf der Rückseite ist ruhig und regelmäßig, mit sich neigenden Is und romanischen Es.
Gabriel. Tut mir leid wegen neulich. Ich war einen
Tick, so sehr ich das Wort hasse, hormonell.
Außerdem traute ich offengesagt deinen Motiven
nicht ganz. Trotzdem — ruf mal an, Gruß Dina
Keine Xe. Ein gutes Zeichen. Noch nicht
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