Ab ins Bett!
meinen burgunder Morgenmantel unter ihm hervorzerre wie ein Zauberer, der unter dem Berg von Sachen auf einem Tisch die Decke wegzieht.
Ich stapfe zu meinem Wohngenossen hin, binde unterwegs den Morgenmantelgürtel zu. »Du weißt?«
»Ja«, sagt er und guckt mich trotzig an. Mein Gott, seine Augen. Verdammt. Sein Blick ist nicht weit, er ist Lichtjahre entfernt. »Und nenn ihn nicht Schizo- Barry. Den Stempel hat ihm bloß die Gesellschaft aufgedrückt.«
»Schizo-Barry heiße ich. Schiz-or-iiieren tue ich!!« singt Barry.
Nick blitzt mich verächtlich an, geht dann zum immer noch auf allen vieren kauernden Barry hin, kniet sich neben ihn und schlingt dem Penner die Arme um den Bauch, der aufgebläht ist wie bei einem Ruanda-Kind.
»Krrhhakrrhhkr! Neiiin! Hilfe!!«
»Ist schon gut, Barry. Ganz ruhig. Komm, jetzt stehen wir schön auf.«
»Nick, was zum Teufel machst du da?«
»Ich helfe ihm hoch.«
»Kannst du ihn mal bitte einen Moment loslassen und mir erklären, was hier vor sich geht?«
Nick läßt los, dreht sich um und guckt mich mit diesem schrecklichen elektrischen Glitzern in den Augen an.
»Du bildest dir ein, du weißt genau, was verrückt und was normal ist, wie?« sagt er. »Für dich ist alles klar, was? Leute, die in Häusern wohnen, zur Arbeit gehen, die Autos und Telefone benutzen und darüber reden, was sie am Abend vorher im Fernsehen gesehen haben und mit wem der Boß ins Bett geht, die sind normal. Aber Leute, die unter freiem Himmel leben, auf der Straße herumkrakeelen, denen es egal ist, ob sie im Leben vorwärtskommen oder nicht, die singen und tanzen, wann und wo sie die Lust dazu überkommt, die sind verrückt. Tja, Gabriel, könnte ja sein, daß es genau andersherum ist.«
»Aber er hat in mein Bett gepißt!«
Einen Moment guckt Nick mich erschrocken an, allerdings nur einen sehr kurzen. Selbst durch den dicken Nebel des ganzen Hippie-Quatsches in seinem Kopf dämmert ihm wohl, daß das nicht besonders angenehm ist. Der Geruch, der sich allmählich im Zimmer ausbreitet, und den ich grob über die Nase gepeilt irgendwo zwischen Jezebels wochenlang nicht geleertem Katzenklo und einer Schnapsbrennerei aus dem neunzehnten Jahrhundert ansiedeln würde, arbeitet zu meinem Vorteil.
»Also gut...«, sagt er, »ich kauf dir ein paar neue Bettücher, wenn du so pingelig bist.«
»Du täuschst dich. Ich bin nicht pingelig. Ich hab mir schon immer gewünscht, in Pennerpisse zu schlafen.«
»Ha! Penner!«
»Er ist ein Penner.«
»Er ist ein freier Geist.«
»Was der an freiem Geist hat, kommt aus den Schnapsflaschen, die er klaut.«
»Jaah, jaah. Mach nur, was du immer tust, wenn du mit was nicht klarkommst. Ja, Gabe, mach dich lustig!«
»Himmelarsch! Natürlich komm ich damit nicht klar. Ich habe seinen verschissenen Mantel berührt. Splitternackt lag ich hautnah an seinem verschissenen Mantel!«
Nick steht da und wiegt behäbig und selbstgerecht den Kopf. »Ist schon in Ordnung. Sei wütend. Laß es raus.«
Ich hole tief Luft. »Heißt das etwa, du hast Barry hierher eingeladen, bloß damit du dich jetzt wie’n verdammter R. D. Laing-Jünger aufspielen kannst?«
»Nein«, lügt Nick frech. »Ich dachte bloß, vielleicht hätte er gern eine Tasse Tee.«
Ich gucke zu Barry hin. Er ist eingeschlafen. Eins stimmt natürlich: Nimmt man für bare Münze, was Barry über die Jahre hinweg von sich gegeben hat, könnte man tatsächlich glauben, daß es eine Tasse Tee ist, die durch seine Delirien geistert.
»Und? Hast du ihm eine gegeben?«
»Ja.«
»Hat er sie getrunken?«
»...nein.«
»Was habt ihr dann gemacht?«
»Wir haben uns unterhalten. Über...«
»Ob du Eier hast oder keine?«
»Nein. Über viele Dinge. Seine Kindheit in Limerick, wie seine Frau ihn verlassen hat, und wie er einen Parkwächter ermordete, über...«
Mir fällt etwas ein. »Das Bradford-Spiel ist also ausgefallen?«
»Hä?«
»Bradford. Gegen wen haben sie heute gespielt?«
»Stockport.«
»Wie kommt’s dann, daß du so früh wieder zurück bist?«
»Ich war gar nicht da.«
»Wie bitte?«
»Ich war nicht da.«
»Warum?«
»Keine Ahnung. Bin einfach nicht hingegangen. Hatte andere Dinge im Kopf.«
Jetzt entgleitet mir auch noch der letzte Prüfstein für meinen Wohngenossen. Er könnte gradsogut ein Fremder sein.
»Irgendwann zog ich jedenfalls eine Weile los auf die Straße, um ein bißchen Trillerpfeife zu üben, und als ich zurückkam, war Barry nicht mehr im Wohnzimmer. Ich dachte,
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