Abaddons Tor: Roman (German Edition)
Luftschleusen zu reparieren. Wenn dies nicht funktionierte, musste sie den schwierigeren Weg durch die Frachtluke wählen. Sie hoffte, Sprengstoff in die Finger zu bekommen, musste aber feststellen, dass man die Munition auf der Thomas Prince streng bewachte. Auf der Frachtliste stand ein als Exoskelett ausgeführter halber Reparaturmech, den sie sich über Oberkörper und Arme streifen konnte. Beine besaß der Apparat zwar nicht, aber wenn sie die Wand mit einem Schweißbrenner schwächte, konnte sie die Platten vermutlich weit genug verbiegen, um einzudringen. Außerdem war das Gerät klein und leicht genug, um es herumzutragen, und ihre Zugangsberechtigung reichte aus, um sich so einen Apparat zu besorgen.
Sobald sie das geschafft hatte, war es leicht. Alle töten, den Reaktor überladen und das Schiff in Atome zerlegen. Mit etwas Glück würde das Misstrauen wegen der Bombe auf der Seung Un neu erwachen. Wenn sie herauskam, war es gut. Wenn nicht, dann eben nicht.
Die einzige Schwierigkeit bestand darin, an den richtigen Ort zu gelangen. Sie wartete ab wie alle anderen und verfolgte, was auf der Station geschah.
Sie träumte, als die Katastrophe eintrat.
Im Traum lief sie vor einem Schulgebäude durch ein Feld. Sie wusste, dass es brannte und dass sie nach drinnen gelangen musste. Sie hörte die Sirenen der Feuerwehr, doch die dunklen Umrisse tauchten nicht am Himmel auf. Drinnen saßen Menschen in der Falle, die sie erreichen wollte. Sie musste sie befreien oder sie daran hindern zu entkommen, oder vielleicht sogar beides zugleich.
Dann stand sie auf dem Dach und blickte durch ein Loch nach drinnen. Ringsherum wallte Rauch, doch sie konnte noch atmen, weil sie gegen die Flammen immunisiert war. Sie langte nach unten und berührte mit den Fingerspitzen die Handgriffe, an denen man sich bei niedrigem Schub festhalten konnte. Irgendjemand packte sie am Handgelenk und stützte sie, als sie sich zur Dunkelheit und zum Feuer vorbeugte. Ren. Sie konnte ihn nicht ansehen. Kummer und Schuldgefühle stiegen in ihr hoch wie eine Flutwelle. Sie stürzte in eine blau beleuchtete Bar mit Druckliegen anstelle der Tische. Einige Paare nahmen das Abendessen ein, redeten und vögelten im Dämmerlicht. Der Mann, der ihr gegenübersaß, war zugleich Holden und ihr Vater. Sie wollte etwas sagen und ihm mitteilen, dass sie es nicht tun wollte. Der Mann fasste sie an den Schultern und drückte sie in das weiche Gel. Sie fürchtete, er werde gleich auf sie kriechen, doch er legte ihr die Fäuste auf den Oberkörper, um sie zu zerquetschen. Alarmsirenen weckten sie, in der Luft schwebten Blutstropfen.
Die Schmerzen waren so schrecklich und unerklärlich, dass sie sich nicht einmal wie Schmerzen anfühlten. Allein das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, drang durch. Sie hustete und spuckte eine Wolke aus Blut in den Raum. Zuerst dachte sie, sie habe im Schlaf irgendwie die falschen Drüsen ausgelöst und nur mit ihr stimmte etwas nicht. Die Sirenen des Schiffs bewiesen allerdings, dass etwas Schlimmes passiert war. Sie griff nach dem Handterminal, das sich jedoch nicht in der Halterung befand. Es schwebte einen halben Meter vor der Tür in der Luft und drehte sich um sich selbst. In der Kunstharzhülle war ein sternförmiger Riss. Anscheinend war das Gerät gegen etwas Hartes geprallt. Das Netzwerksymbol war hellrot durchkreuzt. Kein Statussignal, das System war gestört.
Melba schleppte sich zur Tür und öffnete sie.
Die tote Frau auf dem Korridor hatte die Arme vorgestreckt, und die Haare schwebten um den Kopf wie bei einer Ertrunkenen. Die linke Gesichtshälfte war seltsam verformt, weich und rund und blau gefärbt. Die Augen waren halb geöffnet, das Weiß war hellrot von den geplatzten Blutgefäßen. Melba schob sich an der Leiche vorbei. Weiter unten auf dem Korridor schwebte eine blutige Kugel in der Größe eines Fußballs langsam zur Lüftungsöffnung. Woher das Blut stammte, war nicht zu erkennen.
Auf den breiteren Gängen in der Mitte des Schiffs sah es noch schlimmer aus. Vor jeder Tür und in jedem Durchgang hingen Tote. Alles, was nicht festgeschraubt war, war in Richtung Bug geschleudert worden und schwebte vor den Wänden. Die weichen grauen Wände waren mit Dellen übersät, wo Handterminals, Werkzeug und Schädel aufgeschlagen waren. Es roch nach Blut und etwas anderem, das sie nicht einordnen konnte.
Vor der Kantine klebten drei Soldaten die Toten mit Dichtmasse an die Wände, damit sie ihnen nicht in die
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