Abaddons Tor: Roman (German Edition)
Quere kamen.
»Alles klar?«, fragte eine Uniformierte. Melba brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass die Frau mit ihr gesprochen hatte.
»Mir geht es gut«, antwortete Melba. »Was ist passiert?«
»Das weiß kein Mensch. Sind Sie eine Wartungstechnikerin?«, fragte die Soldatin scharf.
»Ja«, bestätigte Melba. »Melba Koh, Elektrochemie.«
»Dann bewegen Sie Ihren Arsch zur Umweltkontrolle, Koh«, befahl die Frau. »Ich nehme an, Sie werden dort gebraucht.«
Melba nickte und drehte sich dabei um sich selbst, bis die Frau eine Hand ausstreckte und sie festhielt.
Sie hatte noch nie eine Schlacht oder eine Naturkatastrophe gesehen. Am nächsten kam dem noch ein Hurrikan, den sie im Alter von acht Jahren in São Paulo erlebt hatte. Ihr Vater hatte die Familie im Schutzraum der Firma untergebracht, bis die Überschwemmung vorüber war. In den Newsfeeds hatte sie mehr Schäden gesehen als mit eigenen Augen. Die Thomas Prince war ein Bild aus der Hölle. Sie kam an Gruppen von Menschen vorbei, die hektisch arbeiteten, überall waren Tote und Sterbende. Blutstropfen und die Späne zerstörter Plastikteile bildeten Wolken, wo die Luftströme der Recycler sie zusammenführten. Bei null G staute sich das Blut in den Wunden und floss nicht ab. Entzündungen verschlimmerten sich. Die Lungen füllten sich schneller mit Flüssigkeiten. Viele waren schon gestorben, viele weitere würden folgen. Sehr bald schon. Hätte sie nicht auf der Druckliege gelegen, dann wäre sie wie die anderen mit sechshundert Metern pro Sekunde gegen die Wand geschleudert worden. Nein, das konnte nicht richtig sein. Niemand hätte so etwas überlebt.
Sie hatte nicht viel Zeit in der Umweltkontrolle verbracht. Die meiste Arbeit mit Stanni und Soledad hatte sich um die Stromversorgung gedreht. Für Luft und Wasser gab es eigene Techniker. Diese Spezialisten wurden sogar besser bezahlt als sie selbst. Die Konstruktion der Räume sorgte dafür, dass alles dicht beisammen war, ohne beengt zu wirken wie auf der Cerisier . Erleichtert schwebte sie hinein, als sei es bereits eine Leistung, das Ziel erreicht zu haben. Als hätte sie damit ein gewisses Maß an Kontrolle erlangt.
Hier roch es nach Ozon und verbrannten Haaren. Ein junger Mann, der blauschwarze Blutergüsse im Gesicht hatte, war mit einem Seil und zwei Elektromagneten an der Wand verankert. Er wedelte mit etwas, das einem Besen mit einem dicken Netz am Ende glich. Es sah aus wie eine Fliegenklatsche. Anscheinend entfernte er das Blut aus der Luft. Sein verletztes Gesicht war ausdruckslos, er stand unter Schock. Aus den Augen quollen Tränen und blendeten ihn.
»Sie! Verdammt, wer sind Sie!«
Der Mann, der hinzugekommen war, trug die Uniform der Raummarine. Das rechte Bein steckte in einer aufblasbaren Schiene. Der Fuß, der unten herausschaute, war purpurn verfärbt, und er atmete schwer, sodass man an eine Lungenentzündung oder innere Blutungen denken musste.
»Melba Koh, zivile Elektrochemikerin von der Cerisier .«
»Wem sind Sie unterstellt?«
»Mikelson ist der Aufseher meiner Gruppe«, erklärte sie. Beinahe hätte sie sich nicht mehr an den Namen des Mannes erinnert. Sie war ihm nur ein einziges Mal begegnet, und er hatte sie nicht sonderlich beeindruckt.
»Ich heiße Nikos«, sagte der Mann mit dem gebrochenen Bein. »Sie arbeiten jetzt für mich. Kommen Sie mit.«
Anmutiger, als man es ihm zugetraut hätte, stieß er sich ab. Sie folgte ihm ein wenig zu schnell und musste sich an einem Handgriff abbremsen, damit sie nicht gegen seinen Rücken prallte. Er führte sie einen langen Gang hinunter in den Maschinenraum. An einer Wand stand eine große Auswahl dünner Metall- und Keramikplatten, auf die Warnungen in acht Sprachen gedruckt waren. Schweißbrenner hatten Kreise auf die äußerste Platte gemalt, und es stank nach verbranntem Plastik und etwas anderem. Im Zentrum klaffte ein Loch von einem halben Meter Durchmesser, darin steckte ein Toter, den die metallenen Zacken festhielten.
»Wissen Sie, was das hier ist, Koh?«
»Luftaufbereitung«, antwortete sie.
»Das ist die primäre Luftversorgung«, erklärte er, als hätte sie nicht geantwortet. »Wir haben hier ein verdammt großes Problem. Die Sekundäreinheit brennt im Moment noch, und die Reservesysteme halten etwa sieben Stunden. Alle Mitglieder meines Teams sind verletzt oder tot, also müssen Sie das hier allein in Ordnung bringen. Haben Sie das verstanden?«
Ich kann das nicht, dachte sie. Ich habe keine
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