Abaddons Tor: Roman (German Edition)
Mädchen zum Verhör holen, sobald die schlimmsten Schäden behoben sind. Machen Sie sich keine Sorgen. Wir müssen uns um viele Dinge kümmern, und diese Angelegenheit kann warten.«
»Aber …«
Ein junger Mann schwebte herein. Die linke Gesichtshälfte war mit Blut bedeckt.
»Wir brauchen die Rettungssanitäter in Sechs-Alpha, Sir. Da sind zehn Zivilisten.«
»Ich sehe mal, wen ich loseisen kann«, erwiderte der Offizier. »Wissen wir schon etwas über den Zustand der Verletzten?«
»Offene Knochenbrüche, bisher sind die Leute noch nicht gestorben.«
Anna zog Tilly auf den Korridor hinaus.
»Wir können nicht warten. Sie ist gefährlich. Sie hat schon einmal Menschen getötet, als sie das andere Schiff in die Luft gejagt hat.«
»Sie sind bedröhnt«, erwiderte Tilly, entzog ihr den Arm und schwebte quer durch den Korridor gegen die andere Wand. »Sie handeln nicht rational. Was wollen Sie denn tun, falls Claire Mao wirklich auf dem Schiff ist und sich in eine Terroristin verwandelt hat? Sie hat ein Schiff gesprengt. Wollen Sie ihr die Bibel über den Kopf ziehen?«
Anna zog einen Taser halb aus der Tasche. Tilly pfiff leise durch die Zähne. »Haben Sie das Ding gestohlen? Sind Sie von Sinnen?«, flüsterte sie aufgeregt.
»Ich muss sie finden«, beharrte Anna. Die Medikamente sangen in ihrem Blut, weil sie ein Ziel vor Augen hatte. Wenn sie diese Claire aufhielt, konnte sie vielleicht verhindern, dass sie ihre Familie verlor. Natürlich war das eine durch und durch unvernünftige Idee, der sie aber dennoch nachgab. »Ich muss mit ihr reden.«
»Sie werden dabei umkommen«, gab Tilly zu bedenken. Tränen standen ihr in den Augen. »Sie haben die Sicherheitskräfte informiert, Sie haben Ihren Teil beigetragen. Lassen Sie den Dingen ihren Lauf. Sie sind Pastorin und kein Cop.«
»Ich brauche eine EVA-Ausrüstung. Wissen Sie, wo sie gelagert sind? Befinden sie sich in der Nähe der Luftschleusen?«
»Sie sind verrückt«, meinte Tilly. »Dabei spiele ich nicht mit.«
»Schon gut«, erwiderte Anna. »Ich bin bald wieder da.«
25 Holden
»Naomi«, sagte Holden noch einmal. »Melde dich. Bitte antworte mir.«
Unheildrohendes Schweigen drang aus dem Funkgerät. Miller war mit leerer, leicht verlegener Miene stehen geblieben. Holden fragte sich, wie viele andere Menschen genau diesen Ausdruck in Millers Gesicht schon gesehen hatten. Zu dieser Miene gehörten offenbar Worte wie: Es hat einen Unfall gegeben, oder: Die DNA entspricht der Ihres Sohnes. Holdens Hände zitterten. Es spielte keine Rolle.
» Rosinante , Naomi, meldet euch.«
»Das hat nichts zu bedeuten«, warf Miller ein. »Vielleicht geht es ihr gut, aber die Com-Anlage ist kaputt. Oder sie muss dringend etwas reparieren.«
»Oder sie stirbt qualvoll«, erwiderte Holden. »Ich muss gehen. Ich muss zu ihr zurück.«
Miller schüttelte den Kopf.
»Die Rückreise dauert länger als der Flug hierher. Sie können nicht mehr so schnell fliegen. Wenn Sie zurück sind, hat sie längst alles bedacht, was geklärt werden muss.«
Oder sie ist tot. Miller sprach es allerdings nicht aus. Holden fragte sich, wie es möglich war, dass sich das Protomolekül Miller überstreifte wie eine Handpuppe und ihm dennoch genügend Freiheit ließ, mit keinem Wort die Möglichkeit zu erwähnen, dass alle auf der Rosinante tot waren.
»Ich muss es versuchen.«
Miller seufzte. Einen Moment lang flackerten seine Pupillen blau, als schwämmen in seinen Augen winzige Tiefseefische umher.
»Wollen Sie ihr helfen? Wollen Sie ihnen allen helfen? Dann kommen Sie mit. Jetzt gleich. Wenn Sie nach Hause laufen, finden wir nicht heraus, was passiert ist. Möglicherweise ergibt sich für Sie nie wieder eine Gelegenheit, hierherzukommen. Außerdem können Sie darauf wetten, dass sich Ihre Freunde da drüben gerade neu formieren. Wenn die Sie erwischen, können sie Ihnen immer noch die Arme ausreißen.«
Holden hatte das Gefühl, von zwei verschiedenen Versionen seiner selbst in unterschiedliche Richtungen gezerrt zu werden. Möglicherweise war Naomi verletzt. Vielleicht sogar tot. Alex und Amos auch. Er musste für sie da sein. Ein kleiner, ruhiger Anteil in ihm sagte aber auch, dass Miller recht hatte. Es war zu spät.
»Erklären Sie der Station, dass auf den Schiffen Menschen sind«, verlangte er. »Sie können darum bitten, ihnen zu helfen.«
»Ich kann einem Felsen sagen, dass er Generalsekretär sein sollte. Das heißt aber nicht, dass er zuhört. Das alles
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