Abaddons Tor: Roman (German Edition)
werden sie schon finden. Zuerst müssen wir aber selbst Hilfe bekommen.«
Anna dachte an den Dichter und hätte beinahe wieder geweint. Da sie traurig war, klang der erste Ansturm der Mittel vielleicht schon ab. Beinahe bedauerte sie es.
Tilly hielt an einem Übersichtsplan des Schiffs an, der neben einem toten Netzwerkzugang an einer Wand hing. Natürlich, die militärischen Einheiten verfügten über beides, dachte Anna. Sie wurden in der Erwartung gebaut, dass einige Dinge nicht mehr funktionierten, wenn das Schiff beschossen wurde. Auch dieser Gedanke stimmte Anna traurig. Irgendwo im Hinterkopf war ihr sogar bewusst, dass sie im Drogenrausch innerlich Achterbahn fuhr, doch daran konnte sie nichts ändern. Sie weinte wieder.
»Da ist eine Wache.« Tilly tippte irgendwo auf die Karte und zog Anna weiter hinter sich her. Nachdem sie zweimal abgebogen waren, stießen sie auf einen kleinen Raum voller Menschen, Waffen und Computer, die noch zu funktionieren schienen. Ein Mann in mittleren Jahren mit teilweise ergrautem Haar und grimmiger Miene igno rierte sie demonstrativ. Die anderen vier Menschen im Raum waren jünger, interessierten sich aber ebenfalls nicht für die beiden Frauen.
»Öffnen Sie zuerst 35C«, sagte der ältere Mann zu den beiden J üngeren, die links neben ihm schwebten. Dann deutete er auf einen Lageplan. »Da drin waren ein Dutzend Zivilisten.«
»Rettungssanitäter?«, fragte einer der jüngeren Männer.
»Die können wir nicht entbehren, und in dieser Messe gibt es keine Druckliegen. Wer dort war, ist jetzt Spaghettisoße, aber der Leutnant meint, wir müssten trotzdem nachsehen.«
»Alles klar«, antwortete der junge Mann und stieß sich ab, um mit seinem Partner zusammen an Anna und Tilly vorbei aus dem Raum zu segeln. Er würdigte die beiden kaum eines Blicks.
»Ihr sucht die Korridore ab«, befahl der ältere Mann den beiden anderen jungen Crewmitgliedern. »Sammelt die Anhänger ein, wenn ihr sie findet, oder macht Fotos und Abstriche, wo ihr keine findet. Alles geht an die Operationszentrale auf Rot zwei-eins. Habt ihr verstanden?«
»Aye, aye«, sagte einer der beiden, und auch sie schwebten aus dem Raum.
»Der Mann in 295 braucht Hilfe«, sagte Anna zu dem Wachmann. »Er ist schwer verletzt. Er ist ein Dichter.«
Der Mann tippte auf seinem Schreibtischterminal etwas ein. »In Ordnung, ich habe ihn auf die Liste gesetzt. Die Sanitäter kümmern sich um ihn, sobald sie können. In der Offiziersmesse richten wir ein provisorisches Lazarett ein. Ich schlage vor, dass Sie sich sofort dorthin begeben.«
»Was ist passiert?« Tilly hielt sich an einem Griff an der Wand fest, als hätte sie die Absicht, sich eine ganze Weile hier aufzuhalten. Anna ergriff das Nächstbeste, was sich finden ließ, und erwischte ein Waffenregal.
Der Sicherheitsoffizier musterte Tilly von oben bis unten und kam anscheinend zu dem Schluss, es sei das Beste, ihr zu geben, was sie wollte. »Verdammt will ich sein, wenn ich das wüsste. Wir haben in einer Spanne von knapp fünf Sekunden bis zum Stillstand abgebremst. Was uns erwischt hat, erfasste nur die Außenhülle des Schiffs und kümmerte sich nicht um das, was sich im Innern befand.«
»Demnach hat sich die langsame Zone verändert?«, fragte Tilly. Anna betrachtete die Waffen im Regal. Inzwischen hatte sie ihre Gefühle besser unter Kontrolle, doch ihre Gedanken rasten nach wie vor. In dem Regal waren viele unterschiedlich geformte Pistolen. Kleine, wie man sie in Kriminalfilmen sah. In einem eigenen Fach waren Spezialanfertigungen wie Taser. So ein Ding hatte sie auf Europa benutzt. Nun ja, besonders groß war die Ähnlichkeit nicht. Dies hier waren die Militärmodelle, die grau und schlank und anscheinend sehr wirkungsvoll waren. Das Batteriefach war größer als bei ihrer Waffe. Obwohl sie angeblich nicht töteten, wirkten sie sehr gefährlich. Ihr alter Taser zu Hause hatte eher an einen kleinen Haarföhn erinnert.
»Nicht anfassen«, warnte der Sicherheitsoffizier. Anna hatte nicht einmal bemerkt, dass sie unwillkürlich nach einer Waffe gegriffen hatte.
»Das könnte bedeuten, dass es verdammt viele Tote gegeben hat«, überlegte Tilly gerade. Anna hatte das Gefühl, einen erheblichen Teil des Gesprächs verpasst zu haben.
»Hunderte allein auf der Prince «, bestätigte der Sicherheitsoffizier. »Dabei waren wir der alten Geschwindigkeitsbegrenzung nicht einmal nahe. Einige andere Schiffe waren nahe daran, und von denen kommen überhaupt
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