Abaddons Tor: Roman (German Edition)
aufstehen«, sagte Dr. Sterling. Die Rotation veränderte ihre Gesichtsform und zog die Wangen und das Haar herab. So wirkte sie älter und vertrauenswürdiger.
»Ich dachte, ich soll nicht umherlaufen.« Bull hustete.
»Das war zu der Zeit, als ich wegen Ihres Rückenmarks besorgt war. Jetzt sorge ich mich um Ihre Lungen. Sie haben Schwierigkeiten, die Sekrete abzuhusten. Ich würde es beinahe eine leichte Lungenentzündung nennen.«
»Mir geht es gut.«
»Die Rotationsschwerkraft nützt Ihnen nicht viel, solange Sie flach auf dem Rücken liegen.« Sie tippte ihm auf die Schulter, um ihre Worte zu unterstreichen. »Sie müssen öfter aufrecht sitzen.«
Bull knirschte mit den Zähnen.
»Ich kann mich nicht aufrichten. Schließlich habe ich keine Bauchmuskeln. Ich kann rein gar nichts tun.«
»Sie haben ein verstellbares Bett«, widersprach die Ärztin unbeeindruckt. »Also stellen Sie es ein und sitzen Sie so lange aufrecht, wie Sie können.«
»Wird das meine Wirbelsäule nicht noch weiter zerstören?«
»Dafür gibt es Stützen. Außerdem können Sie ohne funktionstüchtige Beine leben, aber nicht ohne funktionierende Lungen.«
Die Schiffsklinik hatte sich verändert. Die Inbetriebnahme der Walze hatte es erfordert, viele der Veränderungen rückgängig zu machen, die das Generationenschiff in eine Kriegswaffe verwandelt hatten. Die Krankenstationen und Behelfsduschen waren um neunzig Grad gedreht worden, damit sie entweder unter Schub oder überhaupt nicht benutzt werden konnten. Aus den ursprünglich als Fußböden gedachten Flächen waren Wände geworden, die jetzt wieder zu Böden wurden. Das ganze Ding war ein kunterbuntes Durcheinander von Improvisationen in Stahl und Keramik. Es war wie ein Skelett, das nach Knochenbrüchen falsch zusammengewachsen war.
»Ich werde tun, was ich kann.« Wieder biss Bull die Zähne zusammen, um ein Husten zu unterdrücken. »Wenn ich mich schon aufrichten muss, kann ich dann wenigstens etwas bekommen, das ein wenig beweglich ist? Ich bin es leid, die ganze Zeit in ein und demselben Raum zu hocken.«
»Ich würde es nicht empfehlen.«
»Wollen Sie es mir untersagen?«
»Nein, das nicht.«
Sie schwiegen. Frustration und Feindseligkeit hingen zwischen ihnen in der Luft. Keiner der beiden war ausgeruht, beide trieben sich selbst unerbittlich an, damit andere Menschen überleben konnten. Und sie waren nicht bereit, einander glücklich zu machen.
»Ich werde tun, was ich kann, Doc«, wiederholte Bull. »Wie sieht es denn da draußen aus?«
»Die Menschen sterben, wenngleich langsamer als vorher. Inzwischen sind alle Patienten stabilisiert oder tot, und es sieht für alle mehr oder weniger gleich aus: Wundversorgung und Stützapparate. Wir müssen auf Leute mit bislang unerkannten inneren Verletzungen achten, und sie auffangen, ehe sie zusammenbrechen. Ausruhen, Flüssigkeiten zuführen, leichte Übungen und Gebete.«
»Alles klar.« Sein Handterminal zirpte. Schon wieder eine Verbindungsanfrage, dieses Mal von der Hammurabi , der marsianischen Fregatte, auf der Kapitän James Holden festgehalten wurde.
»Und wie sieht es in Ihrem Bereich aus?«, fragte Dr. Sterling. Sie presste die Lippen zusammen, weil sie die Antwort bereits kannte. Bull bediente die Steuerung des Betts und richtete sich in eine fast normale Sitzposition auf. Sofort spürte er, wie sich die Atmung veränderte, aber dafür fiel es ihm schwerer, das Husten zu unterdrücken.
»Das kann ich Ihnen in einer Minute erklären.« Er akzeptierte den Anruf. Kapitän Jakande erschien auf dem Bildschirm.
»Kapitän«, begrüßte Bull sie förmlich.
»Mister Baca«, antwortete die Frau. »Ich habe Ihre letzte Botschaft erhalten.«
»Vermutlich rufen Sie nicht an, um die Überstellung des Gefangenen und Ihrer restlichen Crew zu organisieren?«
Sie lächelte nicht.
»Ich wollte mich für den Arbeitsbereich bedanken, den Sie unserer ärztlichen Crew zur Verfügung gestellt haben. Allerdings werden wir weder weiteres Personal auf Ihr Schiff transferieren, noch den Gefangenen in Ihre Obhut übergeben.«
»Sie haben nicht mehr genügend Leute auf dem Schiff, um es zu führen. Es ist nicht einmal eine Rumpfmannschaft. Zusammen mit den Verletzten, den Sanitätern und den verletzten Sanitätern sind inzwischen zwei Drittel Ihrer Leute hier.«
»Dafür bin ich Ihnen dankbar.«
»Ich will damit sagen, dass Sie nur noch ein Drittel Ihrer Crew oder sogar weniger haben. Die Leute leisten Doppelschichten oder
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