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Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Titel: Abaddons Tor: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James S. A. Corey
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als die weichen Arterien, die das Blut in sein Gehirn beförderten.
    Travin schoss ein Loch in das Sofa. Es war, als sei ein Schwamm explodiert. Keine Zeit. Sie kreischte, leitete die Kraft des Schreis in die Arme und Schultern und spürte, wie Insektenauges Genick brach. Travin schoss noch einmal. Wenn er sie traf, konnte sie sterben. Doch sie empfand keine Angst. Die Angst blieb irgendwo eingesperrt, wo sie nicht zu spüren war. Das würde bald kommen. Sehr bald. Sie musste es rasch hinter sich bringen.
    Er hätte ein drittes Mal schießen sollen. Das wäre klug gewesen. Die einzig weise Entscheidung. Er war weder klug noch weise. Er tat, was ihm sein Körper sagte, und versuchte zu fliehen. Er war ein Affe, und Millionen Jahre der Evolution drängten ihn, vor dem Raubtier zu fliehen. Er hatte keine Zeit mehr, einen weiteren Fehler zu begehen. Wieder stieg ein Schrei in ihrer Kehle empor.
    Zeitsprung. Sie hatte die Finger um Travins Kehle gelegt und seinen Kopf gegen die Ecke des Schreibtischs geschlagen. Blut und Kopfhaut hingen an der Kante. Sie stieß wieder zu, doch er war schwer, ihre Bewegungen wurden kraftlos. Deshalb ließ sie ihn fallen. Stöhnend sank er zu Boden.
    Stöhnend.
    Er lebt, dachte sie. Die Angst war wieder da, außerdem die ersten Anzeichen der Übelkeit. Er lebte noch. Er durfte nicht mehr leben, wenn der Zusammenbruch kam. Er hatte eine Waffe gehabt. Sie musste herausfinden, was damit geschehen war. Mit Fingern, die schnell taub wurden, zog sie die kleine Pistole unter ihm hervor.
    »Partner«, sagte sie und jagte ihm zwei Kugeln in den Kopf. Die Spieler draußen an den Tischen mussten die Schüsse gehört haben. Mühsam schleppte sie sich zu der Metalltür und überprüfte das Schloss. Verriegelt. Wenn nicht jemand einen Schlüssel hatte oder das Metall aufschnitt, war sie in Sicherheit. Sie konnte sich ausruhen. Niemand würde die Polizei rufen. Hoffentlich.
    Sie ließ sich auf den Boden gleiten. Schweiß strömte ihr über das Gesicht, sie begann zu zittern. Es kam ihr unfair vor, dass sie während der wundervollen, befreienden Gewalttaten Zeit verlor und bei dem physiologischen Zusammenbruch, der danach folgte, Mühe hatte, bei Bewusstsein zu bleiben. Sie konnte es sich nicht erlauben zu schlafen. Nicht hier. Sie zog die Knie an die Brust und schluchzte, allerdings nicht vor Kummer oder Angst, sondern weil ihr Körper auf diese Weise reagierte, wenn der Rausch verflog. Irgendjemand klopfte an die Tür, es klang unsicher. Zögerlich. Nur ein paar Minuten, dachte sie, dann wäre sie … nein, sie wäre noch lange nicht in Ordnung. Das sicher nicht. Aber einigermaßen auf dem Damm. Nur noch ein paar Minuten.
    Aus diesem Grund hatten sich an Drüsen gekoppelte Verstärkungen nicht beim Militär durchgesetzt. Ein Trupp Soldaten ohne Hemmungen und Selbstzweifel, derart mit Adrenalin getränkt, dass sie sich die eigenen Muskeln zerreißen konnten, ohne es zu bemerken, konnte mühelos einen Kampf gewinnen. Doch wenn dieselben Kämpfer fünf Minuten später zusammengerollt heulten, war alles wieder verloren. Es war eine gescheiterte, aber immer noch verfügbare Technologie. Wenn man genug Geld hatte und bei den richtigen Leuten einen Gefallen einfordern konnte, und wenn man zusätzlich über einige Wissenschaftler verfügte, die kein störendes Gewissen besaßen, war es ganz leicht. Eigentlich war dies sogar der einfachste Teil ihres Plans gewesen.
    Das Schluchzen vertiefte sich und verlagerte sich, der Brechreiz nahm überhand. Aus Erfahrung wusste sie, dass es nicht lange dauern würde. Während sie spuckte, beobachtete sie den Bodybuilder, der mit der zertrümmerten Kehle nach Luft schnappte und schließlich starb. Der Geruch von Blut und Kotze erfüllte den Raum. Melba schnappte nach Luft, wischte sich mit dem Handrücken die Lippen ab. Die Nebenhöhlen taten ihr weh, und sie wusste nicht, ob es am Würgen oder an den falschen Drüsen lag, die in die zarte Haut eingebettet waren. Es spielte sowieso keine Rolle.
    Das Klopfen an der Tür klang jetzt fast schon verzweifelt. Sie konnte die Stimme des Dicken erkennen. Keine Zeit mehr. Sie nahm den Plastikumschlag an sich und stopfte ihn in die Tasche. Melba Alzbeta Koh kroch zum Fenster hinaus und sprang auf die Straße hinunter. Sie stank. Sie hatte Blut an den Händen. Sie zitterte bei jedem Schritt. Das schwache Sonnenlicht schmerzte in den Augen, die sie mit der flachen Hand vor der Stirn abschirmte. In dieser Gegend von Baltimore konnten sie

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