Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Titel: Abaddons Tor: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James S. A. Corey
Vom Netzwerk:
nachdenken.
    Travin zog den Umschlag zurück. Das Plastik schleifte über den Tisch. Er machte »Tsk-tsk«, und es klang ebenso wohlwollend wie falsch.
    »Sie haben Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt«, fuhr er fort. »Sie haben Leute bestochen und gekauft. Sie haben Vorkehrungen getroffen. Und wenn Sie sagen, dass Sie nichts mehr haben, dann glaube ich Ihnen. Aber jetzt stehen Sie hier und sagen, es kommt nicht infrage? Dann kommt gar nichts mehr infrage.«
    »Ich habe Sie bezahlt.«
    »Das ist mir egal. Wir sind Partner. In jeglicher Hinsicht. Was Sie herausschlagen, bekomme ich auch. Ansonsten gibt es sicher noch andere Leute, die sehr daran interessiert sind, was die berühmten Maos insgeheim aushecken.«
    Die beiden Männer auf dem Sofa achteten jetzt auf sie, behielten sie im Auge. Sie sah sich über die Schulter um. Die Tür, die zur Spielhölle führte, bestand aus Metall und war geschlossen. Das Fenster war groß. Der Alarmdraht zog sich zurück, wenn man es öffnete, um die schmutzige Luft der Stadt hereinzulassen. Insektenauge stand auf.
    Ihre Implantate wurden aktiviert, indem sie die Zunge unter dem Gaumen rieb. Zwei Kreise gegen den Uhrzeigersinn. Es war eine verstohlene, von außen nicht sichtbare Bewegung. Innerlich und auf eine seltsame Weise sinnlich. Beinahe so leicht wie nachzudenken. Die handgefertigten Drüsen in ihrer Kehle, im Kopf und im Bauch entleerten sich und entließen ein kompliziertes chemisches Gemisch in ihren Kreislauf. Sie schauderte. Es fühlte sich an wie ein Orgasmus, machte aber lange nicht so viel Spaß. Das Bewusstsein und die gewohnten Hemmungen verflogen wie ein schlechter Traum. Sie war völlig wach und lebendig.
    Die Geräusche im Raum, das Tosen des Straßenverkehrs, der gedämpfte Lärm an den Spieltischen, Travins hässliche Stimme – alles wurde leiser, als hätte ihr der Chemiekaliencocktail zugleich Schaumstoff in die Ohren gepresst. Sie spannte die Muskeln an. Ihr Mund schmeckte nach Kupfer. Die Zeit dehnte sich.
    Was nun? Was nun?
    Die Schlägertypen auf dem Sofa stellten die größte Bedrohung dar. Sie ging hinüber, der bedrückende Zug der Schwerkraft war vergessen. Dem Bodybuilder verpasste sie einen Tritt gegen die Kniescheibe, als er sich aufrichtete. Der kleine flache Knochen riss von den Sehnen ab und rutschte den Oberschenkel hinauf. Die Miene des Mannes zeigte eine fast komische Mischung aus Überraschung und Schreck. Als er zusammenbrach, zog sie das Knie hoch und drosch es ihm in den Kehlkopf, der gerade herunterkam. Sie hatte nicht auf sein Gesicht gezielt. Die Kehle ist genauso gut, dachte sie, als die Knorpel auf ihrem Knie zerplatzten.
    Insektenauge sprang sie an. Er war schnell, auch sein Körper war verändert. Wahrscheinlich waren die Neuronen in den Muskeln beschleunigt. Irgendetwas, um die große Lücke, wenn die Neurotransmitter zwischen den Synapsen schwebten, schneller zu überbrücken, sodass er im Vorteil war, wenn er gegen einen anderen Schläger kämpfte. Harte Finger packten ihre Schulter. Sie drehte sich zu ihm um, ließ sich niedersinken und zog ihn mit. Ein Schlag mit der Handfläche in die Armbeuge, um seine Kraft zu brechen, dann beide Hände um das Handgelenk, um es zu verbiegen. Keiner ihrer Angriffe kam bewusst und geplant. Die Bewegungen entstanden im Kleinhirn, das nun von jeglichen Hemmungen befreit war und genügend Spielraum hatte, um sein Vernichtungswerk zu beginnen. Was sie tat, hatte so wenig mit der Kriegskunst zu tun wie ein Krokodil, das einen Wasserbüffel unter Wasser zog. Es waren einfach nur Geschwindigkeit, Kraft und ein Millionen Jahre alter Überlebensinstinkt. Ihr Tai-Chi-Lehrer hätte sich peinlich berührt abgewandt.
    Der Bodybuilder sackte zu Boden, Blut strömte aus seinem Mund. Insektenauge zog sich zurück, was keine gute Idee war. Sie riss sein Handgelenk an sich heran und holte mit den Hüften Schwung. Er war größer als sie und hatte sein Leben lang in voller Schwerkraft gelebt. Außerdem war er mit Steroiden vollgepumpt und besaß einige billige Verstärkungen. Sie musste jedoch gar nicht stärker sein als er, sondern nur stärker als die kleinen Knochen im Handgelenk und im Ellenbogen. Er brach zusammen und sank auf die Knie.
    Melba – nicht Clarissa – trat hinter ihn, legte ihm den rechten Arm um den Hals, packte mit der linken Hand zu und schützte den eigenen Kopf vor den peitschenden Bewegungen der Arme, die gleich einsetzen würden. Sie musste nicht stärker sein als er, nur stärker

Weitere Kostenlose Bücher