Abaddons Tor: Roman (German Edition)
dass Sie wieder begonnen haben, sie zu schlagen. Erinnern Sie sich noch, wie ich Ihnen beim letzten Mal sagte, was geschehen würde, wenn Sie wieder damit anfangen?«
Nick rutschte auf dem Stuhl hin und her und wusste nicht, wohin mit den langen Beinen. Die großen knochigen Hände kneteten einander, bis die Knöchel weiß hervortraten. Nach wie vor wich er ihrem Blick aus. »Das wollte ich nicht«, sagte er. »Es ist einfach passiert. Vielleicht sollte ich es noch einmal mit der Beratung versuchen.«
Anna räusperte sich, und als er endlich den Kopf hob, starrte sie ihn an, bis seine Beine ruhig wurden. »Dazu ist es zu spät. Wir haben Ihnen das Aggressionsmanagement geschenkt. Die Kirche hat bezahlt, damit Sie sich beherrschen lernen, bis Sie die Therapie einfach abgebrochen haben. Wir haben unseren Teil beigesteuert, und das ist jetzt erledigt.«
Seine Miene verhärtete sich.
»Wollen Sie mir eine dieser Jesus-Predigten halten? Das steht mir bis hier.« Er hielt sich die Hand quer unter das Kinn. »Ich bin diesen Mist leid, aber Sophia will einfach nicht damit aufhören. ›Pastorin Anna sagt!‹ Wissen Sie was? Ich scheiß auf das, was Pastorin Anna sagt.«
»Nein«, antwortete Anna. »Keine Jesus-Predigten mehr. Auch das ist jetzt erledigt.«
»Was soll das dann hier?«
»Erinnern Sie sich, wie ich Ihnen sagte, was passiert, wenn Sie Sophia noch einmal schlagen?«, fragte sie und betonte jedes einzelne Wort.
Er zuckte mit den Achseln, stand auf, kehrte ihr den Rücken und entfernte sich. Während er so tat, als betrachtete er eines der Diplome an der Wand, sagte er: »Warum sollte ich einen Dreck darauf geben, was Sie sagen, Pastorin Anna?«
Anna stieß einen stummen Seufzer der Erleichterung aus. Vor dieser Begegnung war sie noch unsicher gewesen, ob sie wirklich tun konnte, was nötig war. Sie hatte eine starke, instinktive Abneigung gegen jede Unaufrichtigkeit und war drauf und dran, jemanden durch Lügen zu zerstören. Oder wenn schon nicht durch Lügen, dann durch Täuschung. Sie rechtfertigte es mit ihrer Überzeugung, dadurch in Wahrheit jemanden zu retten, aber sie wusste, dass dies nicht ausreichte. Sie würde noch lange Zeit mit schlaflosen Nächten und Selbstzweifeln für das büßen, was sie jetzt tun wollte. Kurzfristig machte es ihr sein Zorn wenigstens etwas leichter.
Anna sprach ein Stoßgebet: Bitte hilf mir, Sophia vor diesem Mann zu retten, der sie töten wird, wenn ich ihn nicht daran hindere.
»Ich sagte«, erklärte Anna Nicks Rücken, »ich würde dafür sorgen, dass Sie ins Gefängnis kommen.«
Nick drehte sich um und sah sie an wie ein Nagetier, das einen Vorteil wittert. »Ach, wirklich?«
»Ja.«
Er schlenderte lässig auf sie zu, so gut es in der niedrigen Schwerkraft ging. Der Gang sollte drohend wirken, doch Anna, die in der Schwerkraftsenke der Erde aufgewachsen war, fand es albern. Sie unterdrückte ein Lachen.
»Sophia wird keinen Ton sagen«, erklärte Nick, baute sich vor ihrem Schreibtisch auf und starrte auf sie hinab. »Dazu ist sie zu klug. Sie ist in der Küche gestürzt, und genau das wird sie dem Magistrat erzählen.«
»Das ist wahr.« Anna öffnete die Schreibtischschublade, nahm den Taser heraus und barg das Gerät auf dem Schoß, wo Nick es nicht sehen konnte. »Sie hat Angst vor Ihnen. Ich dagegen nicht. Es ist mir egal, was mit Ihnen geschieht.«
»Ach, wirklich?« Nick beugte sich vor und versuchte, sie einzuschüchtern, indem er in ihre persönliche Sphäre eindrang. Anna beugte sich ihrerseits vor.
»Aber Sophia ist ein Mitglied dieser Gemeinde, und sie ist meine Freundin. Ihre Kinder spielen mit meiner Tochter. Und Sie werden Sophia eines Tages töten, wenn ich nichts unternehme.«
»Was wäre das denn zum Beispiel?«
»Ich rufe die Polizei und erzähle den Beamten, Sie hätten mich bedroht.« Mit der linken Hand griff sie nach dem Schreibtischterminal. Ebenso gut hätte sie sagen können: Halt mich auf.
Er grinste wie ein wildes Tier und packte sie am Arm, drückte die Knochen im Handgelenk so fest zusammen, dass es wehtat. Fest genug, um eine Prellung davonzutragen. Mit der freien Hand richtete sie den Taser auf ihn.
»Was ist das?«
»Danke, dass Sie es mir so leicht machen.«
Sie drückte ab, und er ging zuckend zu Boden. Ein schwaches Echo des Schocks spürte sie über seine Hand im eigenen Arm. Ihr standen die Haare zu Berge. Dann aktivierte sie das Schreibtischterminal und rief Sophia an.
»Sophia, meine Liebe, hier ist Pastorin
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