Abaddons Tor: Roman (German Edition)
eine Kathedrale, in der es jedoch kein einziges göttliches Symbol gab. Dieser Tempel war der Zweckmäßigkeit und Technik geweiht, der Schönheit der Funktion und der Großartigkeit des Experiments, das den Menschen beinahe die Sterne geschenkt hätte.
Ringsherum fiel alles auseinander. Alle Informationen, die er überhaupt bekommen konnte, sammelten sich in seinem Handterminal, in das er vor Anspannung am liebsten hineingekrochen wäre. Ashford hatte den Maschinenraum und den Reaktor im Süden der Walze und das Kommandodeck im Norden übernommen. Seine Trupps zogen ungehindert durch den Innenraum. Pa wurde vermisst und war vielleicht schon tot. Sie hatte immer noch viele Leute hinter sich, darunter auch Bull selbst, wie er überrascht feststellte, doch wenn die Anhänger sie tot in einem Recycler entdeckten, würde sich die Treue rasch in Wohlgefallen auflösen. Er hatte alles getan, was er tun konnte. Große Macht hatte er nicht besessen, daher hatte er es mit Raffinesse versucht, und als er auch damit gescheitert war, hatte er die Macht ergriffen. Das Massaker des Protomoleküls an Tausenden Menschen hatte er zum Anlass genommen, aus den Trümmern eine Stadt zu errichten, und war beinahe erfolgreich gewesen. Eine kleine Zivilisation am Rande des Nichts. Wäre er ein wenig rücksichtsloser vorgegangen, dann wäre es vielleicht gelungen. Während er sich leise klappernd durch die Halle bewegte, dachte er über diese beunruhigende Einsicht nach. Nicht über seine Sünden, nicht über die Menschen, die er getötet hatte, sondern darüber, dass es vielleicht ausgereicht hätte, ein oder zwei Menschen mehr zu töten.
Trotz der Dunkelheit in seinem Herzen berührte ihn das Ausmaß dieses Bauwerks aus Stahl und Keramik, die Schönheit des industriellen Designs. Er wünschte, sie wären zu den Sternen statt ins Tor der Hölle geflogen. Er wünschte, er hätte es geschafft.
Als er sich mit Serge verbinden wollte, blieb der Ruf unbeantwortet. Er versuchte es bei Corin. Gern hätte er wieder mit Sam gesprochen, doch er wollte nicht riskieren, dass Ashford von ihrem Kontakt erfuhr. Er überprüfte die Sendungen von Radio Freie Langsame Zone, doch Monica Stuart und ihre Crew hatten keine Verlautbarungen herausgegeben. Die ganze Zeit hoffte er, Ashfords Plan werde genauso scheitern wie seine eigenen Pläne. Die Wahrscheinlichkeit war freilich nicht sehr hoch. Ashford wollte das Ding in die Luft jagen, und das war immer einfacher, als etwas zu erschaffen.
Er spielte mit dem Gedanken, eine letzte Nachricht für Fred Johnson aufzuzeichnen, wusste aber nicht, ob er sich entschuldigen, jammern oder dem Mann Schuldgefühle einreden wollte, der einen quengeligen kleinen Jungen wie Ashford an die Spitze gesetzt hatte. Also wartete er lieber ab und hoffte auf eine unerwartete Wendung. Vielleicht sogar auf eine Wendung zum Besseren.
Da hörte er die Schritte auf dem hintersten Zugangskorridor. Es war mehr als eine Person. Mindestens zwei, vielleicht sogar drei. Wenn Ashfords Männer ihn holten, dann musste er sich über seine letzten Worte an Fred keine Gedanken mehr machen. Er nahm die Pistole aus dem Halfter und überprüfte das Magazin. Leise metallische Geräusche hallten durch den Lagerraum. Die Schritte verstummten.
»Bull?«, rief eine Stimme, die er kannte. »Sind Sie da drin?«
»Wer ist da?« Bull hustete und spuckte auf das Deck aus.
»Jim Holden«, sagte der Mann. »Sie wollen mich doch hoffentlich nicht erschießen, oder? Denn Sam hat uns zu verstehen gegeben, dass wir mehr oder weniger auf derselben Seite kämpfen.«
Holden trat in die Lagerhalle. Diesen Mann hatte sie gemeint, als sie über jene gesprochen hatte, denen sie trauen konnte. Damit hatte sie völlig recht. Holden stand außerhalb jeder Befehlshierarchie, und man wusste von ihm, dass er nie irgendwelche Hintergedanken hegte. Der mit einer Schrotflinte bewaffnete Mann hinter ihm war Amos Burton. Bull war überrascht, den verwundeten Erder auf den Beinen zu sehen, dann erinnerte er sich an seinen eigenen Zustand und lächelte. Er ließ die Waffe sinken, legte sie aber nicht weg.
»Wie kommt sie auf diese Idee?«, fragte er.
»Wir haben dieselben Feinde«, erklärte Holden. »Wir müssen Ashford aufhalten. Wenn er seinen Plan ausführt, sitzen wir alle hier fest, bis wir sterben. Außerdem bin ich ziemlich sicher, dass der Ring dann alle Menschen auf der anderen Seite töten wird. Die Erde, den Mars, den Gürtel. Alles.«
Bull hatte das Gefühl, dass
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