Abaddons Tor: Roman (German Edition)
sie ihn und sich mit den Gurten. Als Amos protestieren wollte, fügte sie hinzu: »Und alle Rippen auf der linken Seite.«
»Gut.« Holden packte die Stange am Kopfende des Betts und löste die Sperren der Räder mit einem Tritt. »Dann führe uns.«
Amos lotste sie durch die Gänge des improvisierten Krankenhauses, lächelte allen zu, denen er begegnete, und bewegte sich mit der Sicherheit eines Mannes, der ein bestimmtes Ziel erreichen wollte, dabei aber keine Eile hatte. Sogar die bewaffnete Streife, der sie begegneten, würdigte ihn kaum eines Blicks. Als sie neugierig Holden anstarrten, der zwei Verletzte auf einmal schob, sagte er: »Jetzt kommen zwei in ein Bett. So voll ist es hier mittlerweile.« Sie nickten nur und ließen ihn mit mürrischen, gelangweilten Mienen passieren.
Holden hatte kaum Gelegenheit gehabt, außerhalb der Krankenstation das Schiff zu erkunden. Nach der Ankunft in der Andockhalle war er geradewegs zum Krankenzimmer seiner Crew geeilt und hatte es seitdem nicht mehr verlassen. Jetzt konnte er sich auf dem Weg zum Ausgang umsehen und auf den Gängen und Kreuzungen das volle Ausmaß der Schäden betrachten, die durch die katastrophale Absenkung der Höchstgeschwindigkeit entstanden waren.
In allen verfügbaren Betten lagen Verletzte, manche hockten sogar auf Bänken und Stühlen im Wartebereich. Die meisten hatten Prellungen und Knochenbrüche erlitten, einige waren aber auch viel schwerer verwundet. Er sah mehr als einen Amputierten, und einige hingen mit schweren Rückenmarksverletzungen im Streckgeschirr. Abgesehen von den körperlichen Schäden standen viele noch unter Schock und wirkten wie betäubt. Diese Mienen ließen Holden an die Opfer oder Zeugen von Gewaltverbrechen denken. Vor ein paar Monaten hatte die Rosinante das Schiff einiger Sklaventreiber verfolgt und gestellt. Die geschlagenen, ausgehungerten Gefangenen im Lagerraum hatten ausgesehen wie diese Menschen. Nicht nur verletzt, sondern jeglicher Hoffnung beraubt.
Jemand mit der Uniform eines Arztes sah zu, wie Holden das Bett vorbeischob. Er blickte ihnen nach, doch die Erschöpfung hatte ihm jegliche Neugierde ausgetrieben. In einem kleinen Raum auf der rechten Seite hörte Holden das elektrische Knistern eines Thermokauters. Der Geruch von verbranntem Fleisch drang heraus.
»Das ist entsetzlich«, flüsterte er Naomi zu. Sie nickte, sagte aber nichts.
»Wir hätten nicht herkommen sollen«, meinte Alex.
Türen und Ecken. Miller hatte ihn gewarnt. Die Orte, wo man getötet werden konnte, wenn man nicht aufpasste. Wo man in einen Hinterhalt geraten konnte. Er hätte ruhig etwas deutlicher werden können, dachte Holden. Dann stellte er sich vor, wie Miller verlegen mit den Achseln zuckte und in einer Wolke blauer Leuchtkäfer verschwand.
Amos, der ein halbes Dutzend Meter vor ihnen lief, erreichte eine Kreuzung und wandte sich nach rechts. Ehe Holden die Abzweigung erreicht hatte, betraten zwei AAP-Schlägertypen die Gangkreuzung von der linken Seite.
Sie hielten inne und betrachteten Naomi und Alex, die sich in das Bett gekuschelt hatten. Einer grinste und wandte sich an seinen Kameraden. Holden konnte beinahe schon die anzügliche Bemerkung hören, die er über zwei Leute in einem Bett vom Stapel lassen wollte. Er machte sich darauf gefasst, lächelte und war bereit zu lachen. Doch ehe der Witzbold etwas sagen konnte, rief sein Begleiter: »Das ist James Holden.«
Danach ging alles sehr schnell.
Die beiden AAP-Schläger griffen nach den Schrotflinten, die sie sich auf die Schultern geschlungen hatten. Holden stieß ihnen das Rollbett gegen die Schenkel und trieb sie damit zurück, dann sah er sich hektisch nach einer Waffe um. Einer der Schläger hatte inzwischen das Gewehr von der Schulter genommen und wollte es anlegen, doch Naomi krabbelte auf dem Bett nach unten und rammte ihm die Hacke in den Unterleib. Sein Partner wich zurück, bekam endlich die Flinte zu packen und zielte auf sie. Holden wollte losrennen und wusste schon, dass er zu spät kommen würde. Der Mann würde Naomi erschießen, und er konnte nichts mehr tun.
Dann drehten sich die beiden Bewaffneten zueinander um und versetzten sich gegenseitig einen Kopfstoß. Sie brachen zusammen, die Waffen entglitten den tauben Fingern. Amos stand hinter ihnen, schnitt eine Grimasse und rieb sich die linke Schulter.
»Tut mir leid, Käpt’n«, sagte er. »Ich war ein Stück zu weit voraus.«
Holden lehnte sich an die Wand des Korridors. Die Beine
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