Abaddons Tor: Roman (German Edition)
Der Mann zog die Augenbrauen hoch, als Bull eintrat.
»Hallo, Boss«, sagte der Wachhabende, ein alter Haudegen von der AAP namens Jojo. »Que pasa?«
»Nichts Gutes. Hab ich was verpasst?«
»Eine Beschwerde von einer Carnicería unten auf dem Maschinendeck wegen einer fehlenden Ziege. Dann eine Meldung von einem irdischen Schiff, dass ein Besatzungsmitglied vermisst wird. Sie fragen, ob wir jemanden übrig haben. Zwei coyos sind ausgerastet, wir haben ihnen Stubenarrest verpasst und ihnen gesagt, wenn sie nicht aufpassen, kümmert sich der Bull um sie.«
»Wie haben sie das aufgenommen?«
»Sie haben freiwillig den Dreck aufgewischt.«
Bull kicherte, dann seufzte er.
»Also, draußen auf dem Karren sitzt Samara Rosenberg«, erklärte er. »Die XO will sie in ihr Quartier verbannen, weil sie ohne Erlaubnis fremde Ressourcen benutzt hätte.«
»Ich wünsche mir ein Pony im Taucheranzug«, meinte Jojo grinsend.
»Die XO hat einen Befehl gegeben«, fuhr Bull fort. »Bringt Sam in ihr Quartier. Ich entziehe ihr die Zugangscodes. Wir müssen eine Wache aufstellen. Sie ist stocksauer.«
Jojo kratzte sich am Hals. »Dann spielen wir mit?«
»Ja.«
Jojo wurde ernst. Bull nickte in die Richtung der Tür. Jojo ging, und Bull nahm dessen Platz am Schreibtisch ein, meldete sich im System an und warf Sam aus ihrem eigenen Schiff hinaus. Während das Sicherheitssystem die Veränderungen an die Subsysteme der Behemoth übertrug, stützte er sich auf die Ellenbogen und wartete.
Als Fred Johnson Bull zum ersten Mal das Leben gerettet hatte, waren ein Gewehr und eine mobile medizinische Einheit im Spiel gewesen. Beim zweiten Mal hatte er einen Kreditchip benutzt. Bull hatte mit dreißig abgemustert und auf Ceres seine Pension aufgebraucht. Drei Jahre lang hatte er einfach nur vor sich hin gelebt, billiges Essen gekauft, zu viel getrunken, in seinem eigenen Bett geschlafen und nicht gewusst, ob ihm vom Alkohol oder der Rotation übel war. Er hatte sich um nichts gekümmert, war in ein paar Schlägereien verwickelt worden, hatte hin und wieder Meinungsverschiedenheiten mit den einheimischen Gesetzeshütern gehabt. Erst als es wirklich nicht mehr zu übersehen war, hatte er sich eingestanden, dass er ein Problem hatte, und zu diesem Zeitpunkt war es schon ein verdammt großes Problem gewesen.
Depressionen waren ein Familienleiden. Die meisten Betroffenen hatten sich selbst verarztet. Sein Großvater war an der Kombination gestorben. Seine Mutter hatte zwei Therapien abgebrochen. Sein Bruder hatte sich bis zum Heroin hochgearbeitet und fünf Jahre in einem Sanatorium in Roswell verbracht. All das berührte Bull anscheinend kaum. Er hatte die sichere Stütze aufgegeben und war Marinesoldat geworden, um zwischen den Sternen zu fliegen, oder wenn schon nicht zwischen den Sternen, dann wenigstens zwischen den Felsbrocken, die durch den Nachthimmel trieben. Er hatte Menschen getötet. Die Flasche konnte ihn nicht unterkriegen. Trotzdem wäre es beinahe geschehen.
Der Tag, an dem Fred Johnson vor seiner Tür gestanden hatte, war ihm vorgekommen wie ein eigenartiger Traum. Sein ehemaliger vorgesetzter Offizier schien verändert, er wirkte älter und stärker. Eigentlich gehörten sie mehr oder weniger dem gleichen Jahrgang an, aber Johnson war immer der Alte gewesen. Nach den Ereignissen auf der Anderson-Station hatte Bull die Nachrichten verfolgt und erfahren, dass Fred die Seiten gewechselt hatte. Einige andere Marinesoldaten, die er auf Ceres kannte, waren darüber empört. Er dachte sich nur, dass der Alte nichts von ungefähr tat. Für sein Verhalten musste es einen guten Grund geben.
Bull, sagte Fred. Einfach so, und erst einmal nichts weiter. Er konnte sich noch genau erinnern, wie Freds dunkle Augen seinen Blick gesucht hatten. Um das Schamgefühl zu überspielen, hatte er sich bemüht, besonders gerade zu stehen und den Bauch ein wenig einzuziehen. Zwei Sekunden lang hatte er sich selbst durch Fred Johnsons Augen gemustert. Mehr war nicht nötig gewesen.
Sir, hatte Bull erwidert. Dann hatte er Platz gemacht, damit Johnsohn sein Wohnloch betreten konnte, in dem es nach Hefe und altem Tofu stank. Und nach Bettschweiß. Fred ignorierte das alles. Ich brauche Sie wieder im aktiven Dienst, Soldat.
Alles klar, antwortete Bull. Das Geheimnis, das er mit sich trug und das er mit ins Grab nehmen würde, war dieses: Er hatte es nicht ernst gemeint. In diesem Augenblick hatte er sich nichts weiter gewünscht, als dass Fred
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