Abaddons Tor: Roman (German Edition)
geblieben.«
Irgendwann hatte Tilly begonnen, sie Annie zu nennen. Annas Einwände gegen den Spitznamen waren unbeachtet verhallt. »Früher oder später müssen Sie doch mal was essen. Niemand weiß, wie lange wir hier draußen bleiben.«
»Nicht mehr viel länger, wenn ich etwas zu sagen habe«, dröhnte jemand hinter Anna.
Hätte sie auf dem Boden gestanden, dann wäre sie aufgefahren. Da sie in der Luft schwebte, blieb es bei einem wenig würdevollen Zucken und einem kleinen Quieken.
»Tut mir leid, dass ich Sie erschreckt habe«, fuhr Cortez fort und schob sich in ihr Sichtfeld. »Ich hatte gehofft, dass wir uns mal unterhalten können.«
Er schlurfte mithilfe der Magnetstiefel, die von der Raummarine verteilt worden waren, über den Boden. Anna hatte es versucht, doch als sie mit dem Oberkörper frei geschwebt war, während die Füße auf dem Boden klebten, hatte sich die Übelkeit gegenüber dem unbehinderten Schweben noch verstärkt. Sie hatte die Stiefel nie mehr benutzt.
Cortez nickte Tilly zu, in dem nussbraunen Gesicht strahlten die weißen Zähne. Ohne um Erlaubnis zu fragen, ob er ihnen Gesellschaft leisten durfte, rief er die Speisekarte auf den Tischbildschirm und bestellte ein Mineralwasser. Tilly erwiderte sein Lächeln. Es war das falsche »Eigentlich sehe ich Sie gar nicht«-Lächeln, das gewöhnlich den Menschen vorbehalten blieb, die ihr Gepäck schleppten oder am Tisch bedienten. Sobald sie ihre gegenseitige Verachtung hinreichend kundgetan hatten, trank Tilly einen Schluck Kaffee und ignorierte ihn. Cortez legte Anna eine große Hand auf die Schulter. »Dr. Volovodov, ich stelle eine Gruppe der wichtigsten zivilen Berater auf dem Schiff zusammen, um eine Bitte an den Kapitän zu richten, und benötige Ihre Unterstützung.«
Anna bewunderte die Aufrichtigkeit, die Cortez in einen Satz legte, der fast ausschließlich aus Schmeicheleien bestand. Cortez war da, weil er der geistliche Ratgeber des UN-Generalsekretärs war. Anna war da, weil die Methodistische Generalversammlung sie entbehren konnte und weil ihre Heimat zufällig am Weg gelegen hatte. Wenn sie auf der Liste der wichtigsten Berater stand, lag die Messlatte äußerst niedrig.
»Wir können gern darüber reden, Dr. Cortez«, erwiderte Anna und langte nach ihrem Tee. Das war vor allem ein Vorwand, um sich seinem Griff zu entziehen. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Zuerst einmal muss ich mich für Ihre Initiative bedanken, weil Sie für die Frauen und Männer auf diesem Schiff Andachten angesetzt haben. Ich schäme mich, weil ich nicht schon selbst daran gedacht habe, aber ich will gern Ihrem Beispiel folgen. Wir planen jetzt ähnliche Veranstaltungen mit den Vertretern der verschiedenen Glaubensrichtungen an Bord.«
Anna errötete leicht, obwohl sie den Verdacht hatte, dass Cortez sie manipulieren wollte. Er war so gut, dass er die gewünschte Reaktion sogar dann bekam, wenn man genau wusste, worauf er hinauswollte. Anna konnte nicht umhin, ihn ein wenig zu bewundern.
»Ich bin sicher, dass sich die Besatzung darüber freuen wird.«
»Es gibt allerdings noch andere Aufgaben, um die wir uns kümmern sollten«, fuhr Cortez fort. »Größere Aufgaben. Darüber möchte ich mit Ihnen sprechen.«
Tilly drehte sich wieder zum Tisch herum und sah Cortez scharf an. »Was führen Sie im Schilde, Hank?«
Cortez beachtete sie nicht. »Anna … ich darf Sie doch Anna nennen?«
»Jetzt müssen Sie aufpassen, Annie«, warnte Tilly.
»Annie?«
»Nein«, widersprach sie. »Anna ist völlig in Ordnung. Bitte nennen Sie mich Anna.«
Cortez nickte, bewegte den großen weißen und braunen Kopf und blendete sie mit seinem Lächeln. »Danke, Anna. Ich möchte Sie bitten, eine Petition zu unterschreiben, die ich aufgesetzt habe, und für unser Anliegen zu stimmen.«
»Unser Anliegen?«
»Sie wissen sicher, dass die Behemoth begonnen hat, in Richtung des Rings zu beschleunigen?«
»Das habe ich gehört.«
»Wir bitten den Kapitän, sie zu begleiten.«
Anna blinzelte zweimal, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und stellte fest, dass sie nichts zu sagen hatte. Abrupt schloss sie den Mund wieder, als ihr bewusst wurde, dass Cortez und Tilly sie anstarrten. Durch den Ring fliegen? Holden hatte es geschafft, und es sah ganz danach aus, als sei er noch am Leben. Aber die Mission hatte nie die Möglichkeit vorgesehen, tatsächlich in den Ring einzudringen, oder wenn doch, dann jedenfalls nicht für die zivilen Begleiter.
Niemand hatte eine
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