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Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Titel: Abaddons Tor: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James S. A. Corey
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ausdrücklichen Befehl, Mister Baca. Ich befehle Ihnen ausdrücklich, nichts gegen den Kapitän zu unternehmen. Ich weise Sie an, die Befehlshierarchie zu respektieren. Ich habe mich verpflichtet, Ashfords Befehle zu befolgen, und dieser Verpflichtung komme ich nach. Haben Sie mich verstanden?«
    »Ja«, antwortete Bull langsam. »Entweder wir sterben, oder wir fliegen durch den Ring.«

18    Anna
    Elf Menschen besuchten Annas erste Andacht. Der Gegensatz zu ihrer Gemeinde auf Europa war anfangs beunruhigend. Auf Europa wären eine halbe Stunde vor Beginn des Gottesdienstes etwa zwanzig Familien eingetroffen, ein paar Nachzügler wären später hinzugekommen. Dort waren alle Altersgruppen vertreten, von Großvätern, die mit maßgeschneiderten Gehhilfen hereinrollten, bis zu kreischenden Kindern und Säuglingen. Manche trugen die beste Sonntagskleidung, andere zerlumpte Alltagssachen. Die angeregten Gespräche vor dem Gottesdienst wurden auf Russisch, Englisch und in dem Kauderwelsch der äußeren Planeten geführt. Nach der Andacht blieben ein paar Besucher schnarchend auf den Plätzen zurück.
    Ihre UN-Gemeinde erschien als geschlossene Gruppe um genau 9.55 Uhr. Statt einzutreten und sich zu setzen, schwebten sie als lockerer Verband herein und verharrten wie eine Wolke vor ihrer Kanzel. Sie trugen makellose Ausgehuniformen mit akkuraten Bügelfalten, an denen man sich die Haut aufritzen konnte. Sie sprachen kein Wort, sondern starrten Anna nur erwartungsvoll an. Alle waren sehr jung, der Älteste konnte kaum älter als fünfundzwanzig sein.
    Unter diesen ungewöhnlichen Umständen war der gewohnte Gottesdienst nicht angemessen. Botschaften für Kinder und Ankündigungen der Gemeinde fielen ohnehin weg, und so begann Anna direkt mit einem Gebet. Darauf folgten eine Lesung aus der Schrift und eine kurze Predigt. Sie hatte daran gedacht, über Pflichterfüllung und Opfer zu predigen, weil dies zu der kriegerischen Umgebung zu passen schien. Im letzten Moment entschloss sie sich jedoch, vor allem über die Liebe Gottes zu reden. Angesichts der Ängste, die Chris einige Tage zuvor geäußert hatte, war dies vermutlich die bessere Wahl.
    Zum Abschluss sprach sie ein weiteres Gebet und spendete die Kommunion. Das freundliche Ritual milderte die Anspannung, die sie unter den Besuchern gespürt hatte. Nacheinander traten die elf jungen Soldaten an ihren improvisierten Altar, empfingen einen Beutel Traubensaft und eine Oblate und kehrten an die Position zurück, an der sie vorher geschwebt hatten. Sie las die vertrauten Worte aus Matthäus und Lukas und sprach den Segen, sie aßen das Brot und tranken aus den Beuteln. Wie immer, seit sie den ersten Gottesdienst geleitet hatte, entstand in Anna auch dieses Mal das Gefühl, dass sich eine große Stille schützend über sie legte. Auch den Schauder, der die Wirbelsäule emporkroch und wie immer mit einem drohenden Lachen tief aus dem Bauch wetteiferte, verspürte sie. Auf einmal sah sie Jesus vor sich, der seine Jünger gebeten hatte, in ihren Taten seinem Vorbild gerecht zu werden, und musterte die kleine Gemeinde, die in der Mikrogravitation schwebte und ersatzweise Traubensaft aus Saugbeuteln trank. Der ursprüngliche Sinn dieser Geste war kaum noch zu erkennen.
    Ein letztes Gebet, und die Andacht war vorbei. Kein Einziges ihrer Gemeindemitglieder strebte zur Tür, um zu gehen. Vielmehr starrten sie elf junge Gesichter erwartungsvoll an. Die bedrückende Angst, die sie während der Kommunion ein wenig zurückgedrängt hatte, kroch wieder in den Raum herein.
    Anna zog sich um die Kanzel herum und gesellte sich zu der Wolke ihrer schwebenden Besucher. »Darf ich damit rechnen, dass Sie nächste Woche wiederkommen? Ehrlich gesagt, machen Sie mich ein wenig nervös.«
    Chris antwortete ihr. »Nein, es war wirklich schön.« Beinahe schien es, als wollte er noch mehr sagen, doch er hielt inne und betrachtete seine Hände.
    »Auf Europa haben die Gemeindemitglieder kleine Snacks und Kaffee mitgebracht, um nach der Andacht noch etwas zu sich zu nehmen. Wenn Sie wollen, können wir es beim nächsten Mal genauso halten.«
    Einige halbherzig nickende Köpfe antworteten ihr. Eine kräftige junge Frau in der Uniform der Marinesoldaten zog das Handterminal halb aus der Tasche, um nach der Zeit zu sehen. Anna hatte das Gefühl, ihre neu gefundene Gemeinde bereits wieder zu verlieren. Sie erwarteten noch etwas anderes von ihr, wollten aber nicht darum bitten. Um Kaffee und einen

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