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Abaton

Abaton

Titel: Abaton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Jeltsch
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altmodische Mutter, dachte Simon.
    „Thorben, alta Falta!“
    „Simon Fröhlich?“, fragte eine tiefe männliche Stimme am anderen Ende. Simon erschrak.
    „Wir haben uns vor zwei Tagen am Bahnhof getroffen. Wir fänden es passend, wenn du an der nächsten Haltestelle aussteigen könntest.“
    „Was wollen Sie?“, fragte Simon.
    „Wir haben ein paar wichtige Fragen an dich ...“
    Simon drückte den Anruf weg und schaute sich um. Das Telefon klingelte wieder. Diesmal war es Thorben.
    „Ich kann nicht reden, ich werd verfolgt. Ich versuch sie abzuhängen. Ruf dich gleich zurück!“, rief Simon.
    Er steckte sein Handy weg. Cool bleiben, dachte er. Cool bleiben. Der Zug fährt weiter in den nächsten Bahnhof und da warten sie auf dich. Oder saßen sie bereits mit ihm im Zug?
    Simon sprang auf und zog die Notbremse. Der Zug fuhr einfach weiter. Er riss einen Schlaghammer aus seiner Plombierung. Dann trat er vor eines der großen Fenster – ab@on hatte jemand mit einem Glasschneider in das Glas geritzt. Im Spiegelbild sah Simon die vorbeirasenden Lichter der Strecke und wie er den Hammer hob und tat, was er schon immer einmal hatte tun wollen. Mit voller Wucht zersplitterte das Fenster. Das Glas färbte sich weiß wie das Eis auf einem zugefrorenen See.
    Als der Zug die Fahrt verlangsamte, sprang Simon auf den Sitz und trat gegen das gesplitterte Glas, bis die Scherben nach draußen fielen und vom Fahrtwind davongeschleudert wurden. Kaum hielt der Zug, kletterte er durch das Loch hinaus in die Nacht. Simon sprang auf die Gleise und schaute sich um, dann lief er über die Böschung, sprang über einen Zaun.
    Niemand war ihm gefolgt.
    Nach ein paar Hundert Metern stellte er sich in den Schatten eines alten dunklen Hauses, holte sein Handy heraus und rief Thorben zurück. Kein Signal. Er versuchte es erneut. Thorbens Handy war abgeschaltet. Vielleicht werde ich geortet, dachte Simon plötzlich. Er schaltete sein Handy ebenfalls aus und überlegte, ob er trotzdem geortet werden konnte. Linus würde das bestimmt wissen. Ob sie auch hinter Edda und Linus her waren? Wieso hinter ihm? Wegen der Tätowierung? Wer konnte davon wissen? Er überlegte, ob er Edda und Linus eine SMS schicken sollte, entschied sich jedoch dagegen. Was sollten sie ihm helfen können? Linus war in Köln und Edda an der Nordsee. Simon begriff, er musste allein klarkommen.
    [ 1307 ]
    Es war ein milder Abend. Die Straßen Berlins waren bevölkert von Menschen, als ahnten sie, dass es eine der letzten Nächte des Jahres sein würde, in der man noch ohne Mantel flanieren konnte. Und wo die Flaneure waren, waren auch die Straßenmusiker, die lebendigen Statuen, die Feuerschlucker, die Pflastermaler. Linus beachtete sie kaum. Er bahnte sich seinen Weg durch die Passanten, die hier und da stehen blieben und sich amüsierten. Man amüsierte sich über Linus und er merkte es nicht. Ein Pantomime hatte sich ihm an die Fersen geheftet und imitierte ihn auf Schritt und Tritt. Linus’ Gedanken drehten sich um seine Eltern. Eigentlich gab es nur eine Möglichkeit, die Wahrheit zu erfahren. Er musste den Söldner finden. Er war Linus’ letzte Hoffnung. Doch dieser Mann war verschwunden und mit ihm Olsen. Linus hörte, dass hinter ihm die Menschen lachten. Er ging weiter. Und der Pantomime hinterher. Übertrieben ahmte er nach, wie Linus, ohne nach links und rechts zu schauen und mit düsterer Miene, weiterging. Er hatte die Lacher auf seiner Seite. Als er plötzlich wieder diesen Schwindel spürte, blieb Linus stehen. Der Pantomime griff sich wie Linus an den Kopf. Lehnte sich wie er an die Hauswand. Erst jetzt bemerkte Linus seinen Imitator, sah, wie die Menschen über ihn lachten. Da hatte der Pantomime ein Erbarmen, trat zu Linus, umarmte ihn und heftete ihm dabei unbemerkt eine bunte Plakette an die Innenseite seiner Weste, ehe er sie mit einem kleinen Knopf sicherte. Er verbeugte sich vor Linus und folgte einer alten Frau mit Pudel. Linus blieb zurück. Er sah auf die Plakette, schloss die Augen, um den Schwindel in den Griff zu bekommen. Er ahnte, dass es mit seinem Selbstversuch zu tun hatte. Er war zu weit gegangen.
    Keine Angst zu haben, bedeutete offenbar nicht, keine Emotionen mehr zu haben. Plötzlich überkam ihn Trauer. Linus konnte sich nicht davor schützen. Keine Furcht stellte sich ihm in den Weg. Wie der große Zeigefinger einer Hexe lockte sie Linus. Seine Trauer war wie ein Raum, den er betreten konnte. Samtig rot waren die Wände des

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