Abaton
Traum aufgeschreckt war. Sie fraß sich in seine Eingeweide. Deshalb verstummte er. Als er merkte, dass er seine Tränen nicht zurückhalten konnte, legte er schnell auf ...
Linus betrat durch die Drehtür das Konzerngebäude. In der Empfangshalle prangte eine meterhohe Weltkarte an der Wand. Zielstrebig marschierte Linus auf den Empfang zu. Dahinter war eine bewachte Schleuse, die den einzigen Zutritt zu den Fahrstühlen und den Büros bot.
Der glatzköpfige Mann am Empfang sah den Jungen näher kommen und lüpfte die Augenbrauen. „Na?“, fragte er.
„Zu meinem Vater, bitte“, sagte Linus freundlich, aber bestimmt.
„Zu deinem Vater ...“
„Dr. Tomas Ono.“ Linus deutete auf das Titelblatt der Hochglanz-Firmenzeitung, von dem Ono herablächelte.
„Und du bist?“
„Frodo“, sagte Linus genervt.
„Frodo Ono?“, fragte Glatze allen Ernstes.
„Sie kennen meinen Namen nicht? Wie lange arbeiten Sie schon hier, Herr ... Stratzeck?“ Linus genoss es, ein verzogenes Arschloch zu spielen. „Dürfte meinen Vater interessieren.“
Glatze war unschlüssig. Er fixierte Linus und griff zum Telefon. Linus langte über den Tresen und legte den Finger auf die Gabel.
„Bitte nicht ...“, sagte er und schaute Glatze mit großen Augen an. „Ich wollte Papa überraschen.“ Bei „Papa“ legte Linus die Betonung auf die zweite Silbe. Es beeindruckte Glatze. „Bin etwas früher aus dem Internat zurück ... Kriegen wir das hin, Stratzeck?“ Linus lächelte.
„Ich wusste nicht, dass Dr. Ono Kinder hat.“
„Nicht mit seiner jetzigen Frau“, trumpfte Linus. „Es ist delikat. Wenn Sie es allerdings an die große Glocke hängen wollen ...“
„Jemand wird dich begleiten“, sagte Glatze schließlich und klingelte irgendwohin durch.
Linus setzte sich. Er fühlte sich großartig. Es machte sich bezahlt, dass er an der letzten Raststätte vor Berlin doch noch einmal rausgefahren war. Bei aller Gefahr, erwischt zu werden ... Linus wusste, dass er von Edda geträumt hatte, war ein Zeichen, dass er seine Freiheit von der Angst verloren hatte. Also hatte er den Koffer von Olsen genommen, war damit in der Toilette der Raststätte verschwunden und hatte sich erneut das Programm vom Ende der Angst aufgespielt.
Eigentlich hatte er dieses Mal eine längere Laufzeit wählen wollen, aber er fürchtete, dass man misstrauisch werden würde, wenn eine Toilettenkabine über eine Stunde besetzt blieb. Außerdem ging es jetzt nur um die nächsten 60 Minuten. Um den Besuch bei Ono. Da musste er ohne Angst sein ...
Kurz darauf erschien eine beflissene Gestalt, die trotz Ledersohlen und Steinbodens beim Gehen keinerlei Geräusche verursachte. Er war Onos Assistent – er hatte seine Berufung gesucht und gefunden. Linus sagte ihm das, als sie die Schleuse hinter sich hatten und im Lift auf der Fahrt in den 32. Stock waren.
„Danke schön“, antwortete der Assistent. Wäre dieser Mann ein Tier, wäre er garantiert ein Wiesel gewesen, fand Linus. Linus war überrascht, was man den Menschen alles sagen konnte, wenn man es ohne Angst vortrug. Er folgerte daraus, dass alle Menschen Angst hatten, dass Angst die Beziehungen bestimmte und er dabei war, sich über die Menschen zu erheben. Ein göttliches Gefühl, dachte Linus. Ab Stockwerk 27 bereitete sich das Wiesel auf das Ankommen vor. Rückte die Krawatte, zupfte die Jackettärmel zurecht, sodass die Hemdsärmel auf beiden Seiten wenige Millimeter herausragten. Er räusperte sich und – Pling – schon waren sie da.
Alles Glas. Rundum. Linus sah die Siegessäule, das Brandenburger Tor ...
„Hier entlang, bitte“, sagte das Wiesel mit leiser Stimme.
Linus folgte ihm bis zur Vorzimmerdame. Sie schaute auf. Das Wiesel ging zu ihr hin, nachdem es Linus bedeutet hatte, auf einem der Designersofas Platz zu nehmen. Er spürte den zweifelnden Blick der Vorzimmerdame. Doch das machte ihm nichts aus. Linus war das Ganze zwar ernst, doch irgendwie war es auch wie Kino. Er war ein cooler Held auf dem Weg, das große Geheimnis zu lüften.
Die Vorzimmerdame telefonierte kurz, nickte immer wieder und legte dann auf. Kurz darauf ging die Tür zum Chefbüro auf und Dr. Tomas Ono höchstpersönlich kam heraus. Er nahm sofort Blickkontakt zu Linus auf, trat lächelnd auf ihn zu und reichte ihm die Hand.
„Schön, dass du heute schon angekommen bist, mein Junge. Komm ... komm rein.“
Er legte den Arm um Linus’ Schulter und führte ihn in sein Büro. Damit hatte Linus nicht
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