Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abaton

Abaton

Titel: Abaton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Jeltsch
Vom Netzwerk:
lief zur nächsten U-Bahn-Station und suchte auf dem Stadtplan die Straße, in der sich das »Glühwürmchen« befand. Am Nollendorfplatz stieg er aus, rannte die Treppen hinauf und ging ein paar Meter zu Fuß durch den lauen Abend. Er spürte, wie die Wunde unter der Mütze auf seinem Kopf zu jucken begann, und unterdrückte den Impuls, sich zu kratzen. In den ersten Tagen musste man aufpassen, dass man die Tätowierung nicht zerstörte. Simon wollte so schnell wie möglich weg aus Berlin. Er hatte getan, was er tun wollte. Jetzt hatte sein Vater keinen Grund mehr, im Gefängnis zu bleiben. Simon hatte ihm geholfen, die Lösung für sein Problem zu finden. Sein Vater würde irgendwie aus dem Knast kommen, seine Experimente fortführen und alles würde gut werden.
    Bis es so weit war, wollte Simon zu seiner Mutter nach Mannheim zurückkehren. Später würde er bei seinem Vater leben. Das war eine Vorstellung, die Simon gefiel. Die ihm guttat. Er hatte endlich das Gefühl, dass sich in seinem Leben alles wieder zurechtrückte.
    Bis eben noch war er sich da sicher gewesen. Doch der Anruf in der S-Bahn von den Männern, die ihm auf den Fersen waren, hatte Simon verstört. Plötzlich machte er sich Sorgen um seine Mutter, die vermutlich gar nicht wusste, mit was für einem Typen sie zusammenlebte. War sie auch in Gefahr? Wer suchte ihn?
    Bei einem Münztelefon blieb er stehen und wählte die Nummer seiner Mutter. Er würde ihr sagen, dass er mit dem nächsten Zug nach Hause kommen würde. Es klingelte und Simon spürte, wie sein Herz bei dem Gedanken, dass Mumbala abheben könne, plötzlich schneller schlug.
    Der Wählton war zu hören. Wieder und wieder. Simon blickte sich um. Die Leute strömten an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten.
    „Hallo?“, erklang plötzlich Mumbalas dröhnende Stimme.
    Für einen Augenblick hielt Simon den Hörer in der Hand wie einen giftigen Skorpion.
    „Du kannst mir keine Angst machen!“, sagte Simon mit fester Stimme. „Ich glaub nicht an deinen verdammten Voodoo-Mist ...“
    Er hörte, wie jemand Mumbala den Hörer aus der Hand riss.
    „Simon, Gott sei Dank! Simon, bring diese Päckchen wieder mit ... Bitte, nimm nichts davon, verstehst du? Es ist gefährlich. Ich versuche schon ewig, dich zu erreichen. Wieso meldest du dich denn nicht?“
    Simon hörte die Angst in ihrer Stimme. Dann schrie Mumbala in den Hörer: „Du alte Idiot! Das Zeug is’ nix, was du denke tust! Bring sofort zurück!“
    Simon legte auf. Klar Alter, dachte er. Nix, was du denke tust. Komisch, das Geld hatte er gar nicht erwähnt. Was war nur in den beiden Päckchen gewesen, das so kostbar gewesen sein konnte? Mumbala hatte doch eine ganze Tüte davon gehabt.
    Simons Handy klingelte. Es war seine Mutter. Er hätte sich gemeldet, hätte er nicht gewusst, dass Mumbala neben seiner Mutter stand und auf sie einquatschte. Er hatte kapiert. Ja, ja. Nix, was du denke tust. Gefährlich ... Wieder klingelte es. Wieder seine Mutter. Simon schickte ihr eine SMS. Dass er morgen wieder zu Hause sei.
    Gefährlich, dachte er noch einmal. Und er dachte an seinen Vater. Aber dann war er sich sicher, dass dieses Pulver für seinen Vater keine Gefahr war. Schließlich nahm er keine Drogen und wenn es wirklich so heißer Stoff war, dann war er im Knast sicher viel wert.
    Beim »Glühwürmchen« angekommen, sah Simon, dass kein Licht brannte. Er lief weiter zu dem Wohnhaus, in dem er mit Bobo übernachtet hatte.
    Er klingelte.
    Niemand öffnete.
    Simon nahm abermals eine S-Bahn und stieg nach zehn Minuten einfach wieder irgendwo aus. Aus reiner Vorsicht wartete er, bis der Bahnsteig menschenleer war. Dann ging er langsam die Treppe hinab und verschwand zwischen den Essensständen und Geschäften im Gedränge. Er wollte sich ein belegtes Brötchen kaufen, aber als es ans Bezahlen ging, stellte er erschrocken fest, dass man ihm bis auf ein paar Münzen das restliche Geld gestohlen hatte. Vermutlich als er bewusstlos gewesen war.
    Er durchsuchte sofort seine Klamotten, seine Schuhe. Nichts. Das Geld war weg. Er fluchte. Kein Geld zu haben, machte die Sache schwierig. Wie sollte er jetzt nach Mannheim zurückkommen? Unruhig ließ er sich durch den ehemaligen Ostteil der Stadt treiben. Die Häuser hier hatten nicht nur die letzten beiden Kriege unrenoviert überstanden, sondern auch 40 Jahre DDR. Der einstmals helle Sandstein der alten Klötze, die in den Himmel ragten wie riesige Grabsteine, erschien ihm plötzlich schwärzer als die

Weitere Kostenlose Bücher