Abaton
sich nur seine Mailbox.
[ 1310 ]
Linus war zurück in den Eingeweiden der Stadt. Er hatte keine Zweifel mehr, dass Furioso die Bilder gemalt hatte. Es passte zusammen. Hier schloss sich der Kreis. Hier waren seine Eltern verschwunden. Und nun war er hier, Linus. Der Junge, von dem Furioso vor so vielen Jahren schon gesprochen hatte. Aber warum? Weil er, Linus, ein Geheimnis in sich trug? Toll. Was denn für eins? Linus fühlte sich gar nicht geheimnisvoll, als er jetzt voranstapfte zu dem Tunnel mit Furiosos Bildern an der Wand.
Linus bewegte sich, als wäre er schon unzählige Male hier unten gewesen. Er wartete die U-Bahnen ab, passierte einen toten Bahnhof und hatte schon den Nord-Süd-Tunnel erreicht. Nichts erschreckte ihn, nichts war ihm fremd. Schließlich bog er in den Bildertunnel ab und blieb wie angewurzelt stehen. Da waren keine Bilder mehr.
Linus traute seinen Augen nicht. Er lief den gesamten Tunnel ab. Doch von den Bildern keine Spur mehr. Man hatte den Putz, auf den sie aufgetragen waren, abgeschlagen, sodass nun nur noch die blanke Wand zu sehen war. Linus lief zurück, gelangte außer Atem wieder zum Nord-Süd-Tunnel, folgte ihm nach Süden und bewegte sich bei der nächsten Gelegenheit nach Osten. Er wollte die Wand umgehen, wollte wissen, was dahinter war. Auf der Ostseite des unterirdischen Labyrinths konnte sich Linus nicht so leicht orientieren. Diesen Bereich hatte er nicht in seine Recherchen einbezogen, hatte er beim Verschwinden seiner Eltern doch keine Rolle gespielt. Schließlich erreichte er die andere Seite der Mauer. Hier hätte die Fortsetzung des Bildertunnels sein müssen. Doch Linus fand sich in einer unterirdischen Halle wieder. Im Osten waren irgendwann alle Mauern ganz entfernt worden. Linus stand mit leeren Händen da. Genau so fühlte es sich an.
[ 1311 ]
Nichts in der fremden Wohnung wirkte zeitgemäß. Es gab einige Gegenstände und Vorrichtungen, die Simon völlig fremd waren. Eine altertümliche Küche mit einem Kohleofen, dessen Rohr nach außen ging, ein Bad mit Zinkwanne. Die Katze aus der Zeichnung kehrte aus der Tiefe der Wohnung zurück und miaute anklagend. Sie hatte Hunger. Benommen, aber hellwach kehrte Simon zum Bett zurück und setzte sich. Er nahm den Blätterstoß mit den Sonnenrädern vom Nachttisch. Betrachtete das oberste Blatt.
Als Simon die Blätter wieder an ihren Platz legte, sah er, dass hinter dem Bett ein Tuch aufgehängt war. Vorsichtig zog er es zur Seite und blickte durch ein Fenster in einen dunklen Keller, der noch ein halbes Stockwerk tiefer lag.
Simon machte Licht.
Vor ihm lag ein Theater mit circa 50 Sitzen und auf der flachen Bühne aus dunklem Holz standen wissenschaftliche Geräte, die Simon noch nie zuvor gesehen hatte. An der Wand neben dem Durchgang hing ein kleiner Abreißkalender und Simon sah, dass das Datum der 2. Mai 1945 war. »Du wirst den Weg finden, wenn du den Mut hast, dich vorher zu verirren«, stand auf dem Blatt.
Alles in diesem Keller deutete darauf hin, dass der Mensch, der hier einmal gewohnt hatte, seit vielen Jahren tot war. Es gab keinen einzigen Hinweis auf moderne Technik, weder Telefon noch Fernseher.
Nur ein altes Radio. Simon schaltete es an. Das Katzenauge begann zu glühen, die Röhren des alten Apparates erwärmten sich. Er war unschlüssig, ob er gehen oder auf den Maler warten sollte.
Da hörte er von draußen das Geräusch einer zuschlagenden Wagentür und eines davonfahrenden Autos. Simon löschte das Licht des Theaterraums und die Lampe in der Wohnung. Dann schlich er zur Eingangstür, wobei er fast über die Katze gestolpert wäre, die sich mittlerweile vor die Tür gesetzt hatte. Schnelle Schritte kamen die Treppen herunter und geradewegs auf die Souterrainwohnungstür zu. Es waren nicht die schweren Schritte des Malers, sondern die flinken Schritte eines jungen Menschen. Als Simon hörte, dass jemand einen Schlüssel ins Schloss der Wohnungstür steckte, eilte er in die Wohnung zurück und versteckte sich hinter dem Vorhang. Die Tür ging auf, dann ertönte ein entsetzter Schrei.
Die Tür wurde wieder zugeknallt. Es war totenstill.
Simons Herz schlug wie wild. Er wusste nicht, ob jemand in die Wohnung gekommen war oder nicht. Er hielt den Atem an und lauschte. Sein Herz schlug viel zu schnell, zu laut.
Nichts. Er war wieder allein. Wahrscheinlich hatte die Katze den Eindringling verschreckt. Vorsichtig trat Simon aus seinem Versteck und schlich wieder in Richtung der Tür. Er hatte
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