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Abaton

Abaton

Titel: Abaton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Jeltsch
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betrogen. Er hatte in Afrika auch schon gegen Soldaten gekämpft, die so jung waren, dass sie kaum ihre Kalaschnikow halten konnten. Aber dieses Unternehmen jetzt, gegen das Mädchen und die beiden Jungs, das war ihm ein wenig unheimlich ...
    Merkwürdig, dachte er, normalerweise machte er sich keine Gedanken über die Motive der Auftraggeber.
    Er schaut auf. Zeit, es zu Ende zu bringen.
    [ 1332 ]
    Die Augen noch immer geschlossen, saßen die drei reglos in der Kabine und konzentrierten sich auf einen einzigen Gedanken, den sie an Clint richteten.
    Edda spürte die Anwesenheit ihrer beiden Freunde, auch wenn sie sie nicht sehen konnte. Sie gaben ihr Kraft.
    Sie dachte mit Zuneigung an den fremden Mann, der ihr nach dem Leben trachtete. Das gelang ihr, indem sie sich Clint als Kind vorstellte. Als Jungen. So alt wie sie jetzt war. Nein, etwas jünger. Als er noch nicht Clint hieß, sondern so, wie seine Mutter ihn genannt hatte. Hans ...
    [ 1333 ]
    Scheiße, dachte Clint. Was war bloß mit seinem Kopf los?
    Es war, als hätte sich eine riesige Blase aus der dunklen Tiefe seines Daseins gelöst, die nun an die Oberfläche seines Bewusstseins steigen wollte. Clint ahnte, dass es eine Katastrophe geben würde, wenn sie platzte. Er wollte sie vernichten, ehe es dazu kam. Auf keinen Fall wollte er sehen, welche Botschaft sie ihm brachte. Er wusste genau, dass sie seinen Plan, seine ganze Existenz gefährden würde.
    [ 1334 ]
    Die drei verharrten schweigend in der Kabine. Sie hatten die Augen geschlossen. Edda konzentrierte sich auf das Gefühl tief in ihrem Innern, das gleiche, das sie auch in ihrem Traum empfunden hatte. Simon und Linus befanden sich in einer Gruppe Jugendlicher ihres Alters, in einer sonnigen Heidelandschaft am Meer. Die Sonne stand tief am Himmel und die Jungen warfen jeweils einen aus der Runde über ein prasselndes Lagerfeuer, und auf der anderen Seite wurde er lachend von den Kameraden aufgefangen. Zärtlich versorgten sie die Tiere, für die sie verantwortlich waren. Sie schmusten mit den Kaninchen, den Hasen, den Katzen.
    Clint atmete schwer. Er musste sich setzen. Verdammt noch mal, was sollte das? Warum kamen ihm plötzlich diese Bilder in den Kopf? Was sollten die Bilder von wuselnden, kleinen Tieren? Warum stellte er sich mit einem Mal vor, wie er ein weiches, zartes Tier auf den Arm nahm? Wie er lächelnd das Gesicht in seinem Fell vergrub?
    Clint eilte zum Bad. Er hielt den Kopf unter das kalte Wasser. Aber die Bilder wollten nicht verschwinden. Er sah den Mann mit der Glatze vor sich. Der kalt und gnadenlos auf ihn und die anderen einredete. Warum war er plötzlich so klein? So schwach?
    Er hörte seinen Namen. „Hans!“, schrie der Mann mit der Glatze. Warum gehorchte er? Er war doch Clint!
    „Ich bin Clint!“, schrie er auf.
    „Hans!“, hallte es in seinem Kopf. „Hans!“ Der Glatzkopf schickte ihn neben die anderen Jungen. In Reih und Glied. Er hielt seinen geliebten Hasen fest in seinen Armen, schützte ihn vor der Gefahr, die von diesem Mann ausging. Er traute sich nicht, diesen Mann anzusehen. Doch fassungslos spürte Clint, wie ihm, dem kleinen Jungen, etwas Kaltes, Schweres in die Hand gelegt wurde. Ein Dolch. Er schaute auf. Und schaute in sein eigenes Gesicht. „Ich kann nicht, Vater“, hörte er sich sagen. „Ich kann nicht, bitte!“ Der Vater war gnadenlos. „Schneid ihm die Kehle durch!“
    Clint, noch immer im Bad, sackte auf die Knie. Doch er war ja nicht hier. Er war am Meer. Vor über 50 Jahren. In der Abendsonne. Und er erlebte nochmals, wie eine Welt in ihm zusammenbrach. Er liebte dieses Tier und er liebte seinen Vater. Wie konnte er ihm befehlen, sein Liebstes zu töten? Hans schaffte es nicht. Tränen. Er unterdrückte sie. Sein Gesicht erstarrte.
    Clint wurde schlecht. Er hatte keine Ahnung, was diese Bilder ausgelöst hatte. Er spürte nur, dass die Erinnerung immer gegenwärtiger wurde. Und mit ihr die Bilder und die Worte und, schlimmer noch, die Gedanken und Gefühle. Die er für immer von sich abgespalten und begraben hatte tief unten im Schlamm seines Bewusstseins. Fressen oder gefressen werden, lautete das Motto, nach dem er von da an gelebt hatte. Er war nie gefressen worden. Das waren immer die andern gewesen, wie Olsen, der bald auf dem Boden eines Sees verfault sein würde. „Hans!“
    Clint konnte nichts dagegen tun. Die Erinnerung ließ sich nicht mehr abschütteln. Bleich wie Laken in der Sonne, die Augen fast gänzlich zugekniffen, setzte

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