Abaton
hätten sie eben in einem Film mitgespielt. Einem spannungsgeladenen Film, von dem man wusste, dass es in der Realität nie so sein konnte – aber doch, sie hatten es erlebt. Also rannten sie. Um ihr Leben. Auch wenn von dem Söldner keine Gefahr mehr auszugehen schien – sie wollten nur noch weg.
Die schnellste Möglichkeit war Olsens Wagen. Linus eilte voran. Er war den ganzen Weg hierhergelaufen, um Edda beizustehen. Jetzt mussten sie schnell zu der Seitenstraße gelangen, in der Linus den Wagen abgestellt hatte. Dummerweise hatte er sich den Namen der Straße nicht gemerkt, nur den Weg dorthin. Er musste zurück in die Friedrichstraße, Ecke Dorotheenstraße. Von dort würde er die Straße wiederfinden.
Edda, Simon und Linus überquerten die Spree.
„Halt, bitte ...!“ Edda war stehen geblieben und hielt sich die Seite. „Ich kann nicht mehr. Mir ist so schlecht.“
Die beiden Jungen führten Edda unter die Markise eines Restaurants. Der Schlag des Söldners hatte sie hart getroffen. Da kündigte sich ein heftiges Veilchen an. Aber das war das Wenigste, was Edda im Moment beschäftigte. Kein Gedanke mehr an Make-up, Klamotten und Aussehen. All das zählte nicht mehr. Jetzt ging es um ihr Leben.
„Komm, ich nehm dich huckepack!“, sagte Simon entschlossen und ging vor Edda in die Hocke. Sie kam gar nicht dazu zu widersprechen, schon hing sie an Simons Rücken und hatte die Arme um seinen Hals geschlungen. Simon, der Langstrecken gewohnt war, spürte zunächst keine Anstrengung. Aber allmählich kam er doch außer Atem.
Ein unbeteiligter Beobachter jedoch – wie der schlanke Mann, der schon seit Längerem den gleichen Weg wie die drei zu haben schien –, hätte annehmen können, dass es sich bei dem Mädchen und den beiden Jungen um ein ausgelassenes Trio handelte. Aber in diesem Moment waren die drei alles andere als ausgelassen. Sie rannten um ihr Leben.
Schließlich hatten sie die Dorotheenstraße erreicht. Linus bog nach rechts ab. Edda, die wieder Kraft geschöpft hatte, lief mit Simon hinterher.
„Nicht mehr weit“, sagte Linus. In der zweiten Querstraße stand Olsens Opel. Durchnässt und erschöpft erreichten sie den Wagen, sprangen hinein. Stille. Nur das Prasseln des Regens auf das Dach war zu hören. Und ihr Atmen. Das sich seltsamerweise allmählich synchronisierte. Bis sie gleichzeitig ein- und ausatmeten. Sie fühlten sich einander nah. Der abgeschlossene Raum, der Regen – für einen Moment schien ihnen der Opel der sicherste Platz auf dieser Erde. Nach und nach beschlugen die Scheiben. Sie fühlten sich geborgen. Bis sich die Frage in ihren Köpfen ausbreitete, die alles von nun an bestimmen würde. „Was jetzt?“ Es gab kein Zurück mehr. Der Söldner und dieser Konzern, für den er arbeitete – gene-sys : Wie konnte ein solcher Konzern nahezu vor der Öffentlichkeit verborgen und gleichzeitig so rücksichtslos und machtvoll agieren?
„Die wissen sicher alles über uns“, sagte Linus, „wie wir heißen, woher wir kommen, wo wir wohnen.“
Edda kämpfte mit den Tränen. Sie kannte die Konsequenz. Zu Hause waren sie nicht mehr sicher. Wenn sie zurückkehrten, waren auch die Menschen in ihrem Umfeld nicht mehr sicher. Würden sie ihre Familien und ihre Freunde überhaupt je wiedersehen? Die Ausweglosigkeit schnürte allen dreien die Kehle zu.
„Wir können immer noch zur Polizei gehen“, sagte Edda, die auf dem Rücksitz saß. „Die müssen uns doch glauben.“ Sie hatte ihre Tränen weggewischt. „Wird allmählich Zeit ...“
[ 1340 ]
Ihre Ratlosigkeit war der Einsatzleiterin deutlich an den Augen abzulesen. Sie war in großer Sorge. Sie hatte den riesigen Bildschirm noch einmal eingeschaltet. Zur Kontrolle. Wie sie es immer tat, wenn sie Feierabend machen wollte. Und jetzt musste sie beobachten, wie sich die Markierung, die den Standort von Edda, Simon und Linus anzeigte, Richtung Bunsenstraße und von dort wieder weg zur Friedrichstraße bewegte. Bei der Nummer 219 verharrte die Anzeige.
„Was ist da?“, fragte sich die Einsatzleiterin von gene-sys laut. Sie schaute im Verzeichnis nach und erschrak. Das war ein Polizeirevier ...
Sofort griff sie zum Telefon und rief Clint an.
[ 1341 ]
„Moment, bitte noch mal langsam“, sagte die junge Beamtin. Sie konnte nicht glauben, was ihr die drei Kinder da erzählten. „Jemand hat euch mit einer Strahlenwaffe bedroht?“
„Es geht um Frequenzen“, erklärte Linus so ruhig, wie es ihm möglich war und schaute in
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