Abaton
wieder zurück, an Linus vorbei. Aber dann wandte er sich ab. Zu dem futuristischen Graffiti an der Wand. Riesig groß war dort der Eingang zu einem weiteren Tunnel aufgesprüht. »Hell´s kitchen« stand darüber. Und über allem prangte ein gemein lachender Teufel. Mit stechendem Blick fasste er Linus ins Visier. Der wich unweigerlich einen Schritt zurück. Da hörte er ein schreckliches Lachen. Es hallte von allen Wänden zurück, als wären da Tausende Teufel um Linus herum. Und er sah den Fremden, den es vor Lachen zu schütteln schien. Er drehte sich in Linus’ Richtung. Und lockte mit knochigen Fingern, die als unendlich lange Schatten über die kantigen Wände des Tunnels nach Linus zu greifen schienen. Dann sah Linus, wie der Fremde in dem Tunnel verschwand. In dem Tunnel, der doch nur gemalt war. Linus stockte der Atem. Und immer noch lachte der Chor der unsichtbaren Teufel. Lachte Linus aus.
Linus stand nur da, unfähig sich zu bewegen. Das konnte nicht sein, was er da gesehen hatte. Unmöglich. So viel wusste er aus den öden Physikstunden. Was er da gerade gesehen hatte, war nicht von dieser Welt.
Er nahm allen Mut zusammen, und nachdem er lange die Stille abgewartet hatte, schlich er vorsichtig zu dem Graffiti. Als er vor der Betonwand stand, suchte er nach einem Schlupfloch. Doch da war keines. So sehr er auch alles ableuchtete und in Augenschein nahm. Der Fremde musste einfach durch die Wand gegangen sein. Was war das für ein Trick?
Linus schaute zu dem Teufel auf. Auch aus diesem Blickwinkel schien er den Jungen zu fixieren. Linus schüttelte den Kopf und pfiff. Das hier war unmöglich. Linus wollte unbedingt eine vernünftige Erklärung finden. Mit einem Stein aus dem Gleisbett klopfte er die Wand ab. In der Hoffnung, einen Hohlraum zu entdecken. Plötzlich bröckelte ein Stück des Gemäldes ab. Linus glaubte sich auf der richtigen Spur. Er löste die dünne Putzschicht. Und als hätte er eine Karte aus einem fragilen Kartenhaus gezogen, brach das Graffiti von der Wand und in sich zusammen; wie das sprichwörtliche Kartenhaus.
Mit einem Sprung brachte sich Linus in Sicherheit. Er wartete, bis sich der Staub gesetzt hatte. Und als Linus aufsah, erblickte er ein neues Graffiti. Aber, nein; es war kein hingesprühtes Bild. Es war ein Gemälde. Das magisch anmutende Bild einer Insel. Über der ein fremdes Zeichen prangte. Linus leuchtete mit der Taschenlampe darauf und konnte nicht glauben, was er sah. Ein Hakenkreuz – oder? Nein, unzählige Hakenkreuze; miteinander zu einer geometrisch runden Form verschlungen. In der Mitte wirkte es wie ein Pentagramm; umkränzt von einem flammenden Kreis. Linus starrte auf das Bild.
„Diese irren Nazis“, sagte er zu sich. Sein Kopf war jetzt wieder klar. Er hatte doch bei seinen Recherchen herausgefunden, dass hier unter der Stadt noch eine Menge vergessener Stollen aus der Nazizeit existierten. Und einige schräge Figuren hatten sich hier eingerichtet. Junkies, Penner ... Klar. Dieser Freak, dem er gefolgt war, war irgend so ein Typ. Linus hatte in der Finsternis einfach nicht genau erkennen können, wie er verschwunden war. Und auch wenn er seine Sterne weggenommen hatte, Linus würde trotzdem aus den Tunneln herausfinden. Er hatte schließlich immer noch die Pläne. Kannte sie sogar mehr oder weniger auswendig. Wichtig war jetzt nur, dass er sein Ziel weiterverfolgte, ohne zurückzublicken. Den Ort zu finden, an dem seine Eltern verschwunden waren.
Er warf einen Blick auf den Plan und lief aus dem Seitentunnel zurück. Nach wenigen Schritten schon war er wieder an der Hauptstrecke angelangt, dem Nord-Süd-Tunnel. Linus drehte sich um. Und da wurde ihm klar, er musste nicht mehr suchen. Er war da. Hier war die Weiche falsch gestellt worden. Hier war die U-Bahn in den Seitentunnel gelenkt worden. Hier hatten die Behörden die Spur seiner Eltern verloren. Hier wollte er sie aufnehmen. Hier vor diesem Nazigemälde.
Linus nahm die Sterne aus dem Mantel wieder an sich und betrat diesen Nebentunnel, durch den auch der Weg zum nächsten Notausstieg führte. Das hatte er erkundet. Schon nach wenigen Metern hielt Linus inne. Denn an der Wand neben dem Nazibild war ein Graffiti. Linus leuchtete es an. Es war das gleiche Bild, das er ein paar Minuten zuvor freigelegt hatte. Er ging weiter und weiter und da prangte an der Wand des Geistertunnels eines dieser Bilder neben dem anderen. Immer die Insel. Darüber das immer gleiche, seltsame Symbol. Auch wenn
Weitere Kostenlose Bücher