Abaton
dann taperte sie aus ihrem Zelt; eingehüllt in seltsames, weißes Tüll, als versuche sie, ein Ballett-Tutu überzustreifen, das locker einer Elefantendame gepasst hätte.
„Was wird das denn?“, fragte Linus und lachte mit Simon über diesen wirklich komischen Anblick. „Der sterbende Schwan?“
„Der sterbende Linus! Wenn ihr mir nicht helft, hier wieder rauszukommen.“
Linus sprang sofort auf. Wieder einen Tick zu früh für Simon. Wieder war er zu langsam. Hatte zu spät reagiert. Wie immer. Und nur weil er diese dämliche Kontrolle in seinem Kopf hatte. Warum war das so? Simon begriff es nicht. Er war früher doch auch nicht so. Er musste lachen, weil sich nun auch Linus in dem Tüll-Gespinst verhedderte. Und weil Simon nicht wirklich wissen wollte, was ihn so hemmte. Er spürte, dass die Antwort ganz nah war und dass sie nicht angenehm sein würde. Also lenkte er sich lieber durch Lachen ab. Und es gab ja auch was zu lachen. Vor ihm stand eine luftige Tüll-Wolke mit vier Beinen. Und gerade als die beiden Wolklinge ihre Köpfe hervorstreckten, kam Thorben daher und blieb irritiert stehen. Edda sah ihn und verdrehte genervt die Augen. Nicht der auch noch.
„Was ist?“
„Wollte nur ... Na ja, ich dachte, ob wir zusammen gleich Küchendienst machen. Dann haben wir es hinter uns ...“ Er sah Linus und Edda irritiert an, begriff nicht. „Hab die Liste dabei. Abendessen vorbereiten …“ Er kam zu Edda und hielt ihr das Klemmbrett mit den Listen für die Diensteinteilungen im Camp hin.
„Bin beschäftigt“, sagte Edda trocken.
„Okay“, sagte Thorben. „Hab dich eh schon eingetragen.“ Und verschwand, bevor sie etwas einwenden konnte. Linus lachte. Und Simon stimmte ein.
„Was ist das überhaupt?“
„Moskitonetz. Wollt es über mein Feldbett hängen“, sagte Edda.
„Die gute Hausfrau denkt an alles“, meinte Linus grinsend.
„Hat mir meine Oma eingepackt“, sagte Edda und verzog das Gesicht. Sehr komisch, diese Jungs, wirklich.
„Süß“, sagte Simon. „Süß seht ihr aus. Wie in Zuckerwatte verpackt. Soll ich helfen?“
„Schaff ich schon“, sagte Linus und kämpfte den weißen Drachen schließlich nieder, indem er kurzerhand sein Taschenmesser benutzte.
„Idiot!“, schimpfte Edda, als sie das sah. Aber es war zu spät, um es zu verhindern. Schon lag das niedergestreckte weiße Ungeheuer zu ihren Füßen.
„Es hätte dich sonst noch verschlungen“, sagte Linus vollkommen ernst und klappte die Schneide des Messers wieder ein.
„Jetzt musst du nur noch im Blut des weißen Drachen baden, dann bist du unverwundbar“, lachte Simon.
„Umzingelt von Idioten!“ Edda packte den weißen Tüll wieder zusammen.
Wie anmutig sie sich bewegte, dachten Simon und Linus gleichzeitig. Wie elegant sie ihre Haare in den Nacken warf, während sie ihre Sachen in ihr Zelt räumte und sich schon wieder mit dem Tüllzeug im Reißverschluss des Zeltes verhedderte.
„Wer lacht, wird gekillt!“, sagte Edda, ohne sich umzusehen. Doch selbst diese Androhung konnte das Prusten von Simon und Linus nicht verhindern.
Edda fuhr herum, herrlich wütend, verhedderte sich erneut, fiel. Und dann lag sie da und die Jungs und die Welt hielten für einen Moment den Atem an, denn Edda lachte los, so wunderschön, so befreit, dass selbst Julia Roberts neidisch geworden wäre.
„Wenn mir einer zuguckt, kann ich die einfachsten Dinge nicht mehr“, meinte Edda, als sie sich alle beruhigt hatten. Ihre Stimme klang leichter. Lockerer. Sie konnte ihre Wut einfach nicht mehr so lange konservieren wie noch vor ein paar Stunden bei ihrer Ankunft im Camp. Das Erlebnis auf der Bühne hatte sie freundlicher werden lassen und weicher. In ihr keimte die vage, winzige Hoffnung, dass sie sich vielleicht eines Tages doch noch wie ein normales Mädchen fühlen könnte. Wirklich zu fühlen und nicht nur so zu tun ...
Linus merkte, wie sich ein wohliges Gefühl in seinem Körper ausbreitete, seit er mit Edda gegen den scheinbar übermächtigen weißen Feind gekämpft hatte.
Simon saugte an einem Energy-Drink und verfolgte gemeinsam mit Linus, wie Edda in ihr Zelt schlüpfte.
„Edda ...“, sagte Linus.
„Was?!“, schallte es aus ihrem Zelt und sofort erschien ihr Kopf im Schlitz der Zeltöffnung.
„Danke!“, sagte Linus.
„Bitte“, sagte Edda.
„Nein. Du könntest mal ‚danke‘ sagen.“
„Pffff ...“ Sie verdrehte die Augen und verschwand. Kurz darauf ließ sich ihre Stimme abermals aus dem Zelt
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