Abaton
dem anderen.
„Sie sind nur hinter mir her“, sagte Linus. „Weil ich herausfinden will, warum meine Eltern spurlos verschwunden sind. Weil ich nicht glaube, was offiziell gesagt wird.“
„Was haben die denn so Wichtiges gemacht, deine Eltern?“, fragte Edda, die sich von einem der frühen Pendler eine Zigarette erschnorrt und dann zwei genommen hatte. Sie rauchte.
Mein Gott, wie erwachsen sie jetzt aussieht, dachte Linus. Toll! Dann sah er auf ihre Finger. Sie zitterten noch immer. Vor Angst? Vor Kälte? Es schien, als hoffte sie, dass der glimmende Stängel sie ein wenig wärmen könnte. Dass der Rauch ihre Angst mitnehmen würde, wenn sie ihn nur tief genug einatmete und in den frühen Tag blies. Mehr noch. Sie hoffte, dass das, was Linus zu erklären hatte, sie beruhigen würde. Aber das war nicht der Fall. Ganz und gar nicht. Was er sagte, war alles andere als beruhigend.
„Hatte mit Pflanzen zu tun“, sagte Linus.
Viel mehr wusste er auch nicht. Seine Eltern hatten nie mit ihm darüber gesprochen. Und wenn er ehrlich war, hatte es ihn auch nie wirklich interessiert, was sie da veranstalteten. Sie hatten Biologie und Chemie studiert, die Fächer, die Linus am meisten hasste. Nach dem Studium waren sie noch eine Zeit lang an der Uni geblieben. Aber als die Eltern seiner Mutter gestorben waren und ihnen ein Erbe hinterlassen hatten, kündigten Linus’ Eltern ihren sicheren Job an der Uni und betrieben auf eigene Faust Forschungen mit dem ganzen Grünzeug.
„Hanf!“, sagte Edda trocken. „Ist doch klar. Vollkommen. Cannabis. Scheiße! Die haben Drogen angebaut. Haben sich mit der Mafia angelegt. Und die ...“ Mit dem Zeigefinger deutete sie auf Linus, drückte einen imaginären Revolver ab und ploppte dabei mit den Lippen. Dann pustete sie mit dem inhalierten Zigarettenrauch wie ein Westernheld über die Öffnung ihres Revolverlaufs.
„Deshalb sind die hinter dir her. Und uns auch. Drogenmafia. Da gibt es wohl noch irgendein Geheimnis, von dem die glauben, dass du es weißt.“
Simon nickte. Das klang vollkommen logisch. Er sah zu Linus und hoffte auf ein „Nein, falsch“ oder eine Erklärung, dass Eddas Vermutung aus der Luft gegriffen sei. Doch Linus hatte selbst schwer an dieser Möglichkeit zu knabbern. Seine Eltern in Konkurrenz zur Drogenmafia? Er schüttelte den Kopf, als könnte er so seine eigene Befürchtung loswerden. Es gelang ihm nicht. Denn ... was war das eigentlich für ein wichtiges geheimes Treffen in Berlin gewesen, zu dem seine Eltern auf dem Weg gewesen waren? Warum hatten sie gesagt, dass sie eine Entdeckung gemacht hätten, mit der sich das Erbe, das sie inzwischen längst in ihre Arbeit investiert hatten, hundertfach, nein tausendfach auszahlen würde? Womit war sonst so viel Geld zu machen, wenn nicht mit Drogen?
Linus sah seine Freunde an. Da war kein Hoffnungsschimmer in seinen Augen. Nichts, was den Hauch einer anderen Erklärung andeutete.
„Wir müssen zur Polizei“, sagte Edda und trat die Zigarette aus. Sie erhob sich von der Bank.
Simon wusste auch keinen besseren Rat. Linus dachte noch nach, als er ihn kommen sah. Den silbernen Van.
„Da sind sie!“
Er starrte in Richtung Straße, wo der Van einparkte.
„Nicht hinsehen!“ Er wandte sich rasch ab. „Nicht hinsehen, verdammt!“
Aber Simon und Edda schauten natürlich zu dem Wagen. Linus packte sie, drehte sie zu sich.
„Verehrte Fahrgäste, die Ankunft der S1 verzögert sich um circa drei Minuten.“ Das konnte nicht wahr sein! Gerade jetzt. Die S-Bahn war ihre einzige Chance, von hier wegzukommen. Linus zog die beiden Freunde in die Menge der wartenden Fahrgäste.
„Wie schaffen die das, uns immer wieder zu finden?“ Simon konnte sich das nicht erklären. „Sogar in dem Tunnel ...“
„Unsere Handys. Vielleicht peilen die unsere Handys?“, überlegte Linus. „Akkus raus! Los!“ Er fingerte schon an seinem I-Phone herum, aber … na klar, an dem ließ sich der Akku nicht entfernen.
„Scheiß Apple!“
Edda und Simon hatten weniger stylishe Handys, aus denen sie rasch die Akkus entfernten, um sie unortbar zu machen. Linus hatte keine andere Chance. Er musste sein I-Phone loswerden. Er wickelte es in ein Taschentuch und legte es schweren Herzens in einen der Mülleimer. Ganz unten auf den Boden. Später würde er es sich wiederholen.
Durch die schützende Menschenwand beobachtete er dann, wie die Verfolger zu ihrem Bahnsteig heraufkamen. Sie schienen sich keine Sekunde gefragt zu
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