Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
die Adresse, die sie auf einem Briefumschlag gefunden hatte. „Wir brauchen einen Wagen. Ja, sie kommen raus. Zwei junge Schwestern“, sagte Edda, als ihr Blick auf den Kleiderspind fiel, in dem die Schwesterntrachten hingen.
„Du bist verrückt“, strahlte Lucy.
Das Taxi mit den beiden Schwestern in Tracht hielt auf der Straße vor einem bunkerähnlichen Gebäude am anderen Ende der Stadt. Vor dem Eingang sah Edda etwa Hundert Leute, die darauf warteten, an zwei Türstehern vorbei in das Innere gelassen zu werden. Aus dem Gebäude drang das tiefe Wummern der Bässe.
„Jetzt geht hier die Luzy ab!“ Lucy hatte den Fahrer bezahlt und verdutzt zurückgelassen. Zwei Schwestern auf dem Weg in den angesagtesten Club der Stadt. Der Fahrer fuhr davon und ein Kombi parkte an der Stelle ein. Hinter dem Steuer der hagere Mann. Er schaute den beiden Nonnen hinterher.
Zielstrebig ging Lucy an den Wartenden vorbei auf die Türsteher zu. Edda bemerkte den neidischen Blick der anderen Partygänger, die dort scheinbar seit Stunden standen, als die beiden Nonnen von den beiden Männern herangewunken und begrüßt wurden.
„Coole Tracht, Schwester Lucy!“
Gleich darauf standen Edda und ihre neue Freundin in der Vorhalle des Nachtclubs. Eine riesige, ausladende Treppe führte in den ersten Stock hinauf. In den Nischen befanden sich Bars und Zimmer, in denen rotes oder ultraviolettes Licht glühte. So etwas hatte Edda noch nie gesehen, aber sie versuchte, sich das nicht anmerken zu lassen.
Lucy kannte die Leute hinter den Theken und auch unter den Gästen waren immer wieder Bekannte, denen sie Edda vorstellte und die sie umarmte und denen sie Küsse auf die Wangen drückte. Ihr Aufzug sorgte für einen großen Auftritt. Lucy zog Edda mit sich die Treppen hinauf, vorbei an einem Saal, in dem House gespielt wurde. Sie überquerten die Tanzfläche und als sie in der Mitte angekommen waren, wollte Edda stehen bleiben und tanzen. Doch Lucy zog sie unerbittlich weiter.
„Wir gehen in den VIP-Bereich!“, schrie sie über den Lärm des DJs, der auf einer Kanzel stand und die Menge mit seiner Musik dirigierte. Sie ließen die Tanzfläche hinter sich und gelangten zu einer Stahltür, die ein weiterer Türsteher bewachte. Er nickte Lucy zu und öffnete die Tür in einen großen Saal, dessen Atmosphäre sich deutlich vom vorherigen Raum unterschied. Eine viel ruhigere Welt aus gedämpftem Licht, von der die meisten Menschen keine Ahnung hatten. Lucy genoss, wie blauäugig Edda in die Gegend schaute.
Sie schlüpften aus ihren Ordenskleidern.
„Los, komm!“ Lucy ging auf eine der Bars zu, wo sie vom Barmann herzlich begrüßt wurde. Sie kannten sich, das war offensichtlich. Lucy bestellte zwei Drinks und Edda sah, wie der Barmann zwei kleine Päckchen neben die Gläser legte und Lucy sie in ihrer Tasche verschwinden ließ.
„Oben ist mehr los“, sagte sie.
Edda nahm ihr Glas und die beiden Mädchen gingen durch ein schmales Treppenhaus ein Stockwerk höher. Edda brauchte eine Weile, um zu begreifen, was sie dort sah. Vielleicht fünfzig Tänzer und Tänzerinnen bewegten sich lasziv zu der Musik. Manche von ihnen halb nackt. Edda war sich nicht sicher, ob sie das mochte oder verabscheute, auf jeden Fall war es faszinierend und Lucy schien ganz in ihrem Element.
Hinter einer Glaswand, durch die man die Tanzfläche beobachten konnte, ließen sie sich in einen Zweiersessel fallen und schauten sich um.
„Kennst du den da drüben?“, fragte Lucy. „Das ist der Sänger der Absoluten Giganten!“
Edda merkte, wie aufgeregt Lucy wurde.
„Ich glaube, der hat rübergeschaut.“
Der Junge, auf den Lucy gezeigt hatte, stand auf und kam zu den beiden Mädchen herüber.
„Oh Gott, oh Gott! Er kommt, er kommt her!“, singsangte Lucy.
Edda wollte nicht einstimmen in Lucys Euphorie. Diesen oberflächlichen Mist hatte sie hinter sich gelassen. Nur, merkwürdig war das schon – alles, was sie sich mit Linda in Cuxhaven ausgemalt hatte, schien plötzlich in Reichweite zu sein. Direkt vor ihren Augen. Wenn man einfach am Türsteher vorbeigehen konnte, nicht nach dem Alter gefragt wurde und einen Drink auf den Tisch gestellt bekam, während tatsächlich der Sänger von den Absoluten Giganten auf einen zusteuerte, dann war das eben doch etwas völlig anderes, als wenn man es sich nur vorstellte.
Als der Junge fast bei ihnen angekommen war, lehnte Lucy sich demonstrativ nach vorn, damit ihre Brüste etwas besser zur Geltung kamen, und
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