Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
hatte er noch eine Indian Spirit. Er schnorrte sich Feuer und marschierte weiter. Er kam sich vor wie dieser Schauspieler, von dem seine Mutter schwärmte. James Dean. Er dachte an seine Mutter. Wollte er wissen, was aus ihr geworden war? Und aus Mumbala? Simon war es ehrlich egal. Er konnte für sich selbst sorgen. Wenn Familie, dann war ihm sein Vater so viel näher. Er würde ihn besuchen, wo immer er jetzt auch war. Er würde ihm alles erzählen. Dann würde er stolz auf Simon sein.
Als Simon aufsah, stand er vor einem Platz, an dem Raupen und Bagger unterwegs waren. Erst bei näherem Hinsehen erkannte er, dass hier einmal das Haus gestanden hatte, in dem Eddas Großmutter gelebt hatte. In dem dieser Söldner sie um ein Haar umgebracht hätte. Dass ihn seine Füße hierhergetragen hatten, konnte kein Zufall sein.
„Hab Hunger.“ Edda löste sich aus der Umarmung.
„Linus hat einen Laden gefunden, wo wir erst mal unterkommen können“, sagte Simon und berichtete von dem Kontakt mit Thorboy. „Ist ein Chinese. Linus hat das als Treffpunkt angegeben. ’n bisschen weiter oben.“ Er zeigte Richtung Prenzlauer Berg.
Sie gingen ein paar Straßen weiter und stiegen dann in eine Straßenbahn.
„Woher wusstest du, dass ich komme?“, fragte Edda.
Simon zuckte mit den Achseln. Sein Gesicht war ernst und hager, aber er lächelte.
„Wieso bist du ausgerechnet hierhergekommen?“, fragte er zurück.
Auch Edda lächelte. Ohne nachzudenken, griff sie nach Simons Hand und hielt sie, bis die Straßenbahn die nächste Station erreicht hatte.
„Vielleicht, weil dies der einzige Ort ist, den wir alle drei kennen und der um diese Uhrzeit noch offen hat“, lachte sie.
Simon nickte wieder. Die Bahn hielt und sie stiegen aus.
„Oh, ich sterbe vor Hunger“, flehte Edda, als sie an einem Restaurant vorbeikamen und sie den Geruch von gebratenem Hühnchen erschnupperte.
„Wir haben noch Chips“, schlug Simon vor.
Edda rollte mit den Augen. Sie musste etwas anderes essen, etwas Nahrhaftes, und schlug vor, in einem Tante-Emma-Laden an der Ecke einzukaufen. Das Geschäft wurde von ein paar fahlen Neonröhren beleuchtet und an der Kasse stand ein junger Türke. Edda nahm eine Gurke, ein paar Tomaten und ein Brot.
„Wer soll ´n das essen?“, fragte Simon. „Wir brauchen Fleisch. Was Warmes!“
„Und wo willst du kochen?“
„In der Küche von Linus’ Chinesen.“
„Und ohne mich hättet ihr euch von Chips ernährt! Typisch! Man muss wirklich dauernd auf euch aufpassen.“
„Eyyy!“, lachte Simon. Es war einfach wunderbar, wenn sie bei ihm war. Er fühlte sich leichter und stärker, mutiger und zärtlicher. Er nahm Nudeln, Hackfleisch, Zwiebeln, Butter, Salz und Sahne aus dem Regal und Edda zahlte die Sachen zusammen mit dem Gemüse vom Restgeld, das Lucy ihr nach dem Restaurantbesuch gegeben hatte. Mit zwei Tüten zogen sie zurück in die Nacht, bis sie zu dem chinesischen Restaurant kamen. » Tao « las Edda auf dem Schild mit den bunten ineinanderverschlungenen Drachen. Das » Tao « lag etwas zurückgesetzt in einem Gebäudekomplex, der verlassen aussah. Das kleine Metalltor davor war nur zum Schein mit einem Vorhängeschloss abgeriegelt. Edda und Simon traten in die Einfahrt und klopften. Da öffnete Linus ein angelehntes Fenster.
„Hey! Linus!“, rief Edda und umarmte ihn, doch Linus versteifte sich.
„Hey“, sagte er leise und lächelte. „Habt also mit Thorben gesprochen ...“
„Ja“, sagte Simon.
Linus wurde wieder ernst, nickte Simon zu. Unerreichbar, dachte Edda. Sie spürte, dass etwas geschehen war. Plötzlich sah sie Bilder vor sich. Wasser. Ein Mann. Ein Messer. Blut.
„Alles okay?“, fragte Edda besorgt.
Linus nickte und schaute sie an.
„Passt schon“, sagte er. Und für einen Augenblick klang er wie ein alter Mann. „Kommt rein ...“
Edda und Simon stiegen ein und schauten sich im Laden um. Durch die Fenster fiel das grelle Licht der Laternen. Überall Drachen, bunte Ornamente und Bilder. Tische und Bänke standen in ordentlichen Reihen und in der Küche befand sich ein Herd, auf dem Töpfe und Pfannen standen.
„Vielleicht haben die bloß Ruhetag!“, flüsterte Edda.
„Seit zwei Wochen ist hier keiner mehr gewesen“, rief Simon, der die Post aufgehoben hatte, die durch den Briefschlitz gefallen war. Dann fiel ihm auf, dass er selbst nicht mehr genau wusste, welches Datum war. Linus drehte einen der Hähne in der Küche auf und ließ das Wasser
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