Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
Droge. Ohne nachzudenken oder sich umzudrehen ging Edda weiter. Sie hatte Lust zu laufen, zu rennen und mit jedem Schritt, den sie zwischen sich und die Partyszene brachte, wurde ihr wohler. Je weiter sie sich von Lucy und den anderen entfernte, desto mehr fühlte sie sich wieder bei sich – der wahren Edda. Es tat gut allein zu sein, ohne die Gedanken von Lucy, die dauernde Berieselung durch ihre Sprechblasen. Plötzlich musste sie laut lachen, als sie an Lucy dachte. Sie konnte sich nicht erinnern, je so gelacht zu haben wie mit ihr. Lucy war genau zur richtigen Zeit aufgetaucht. Ohne sie wäre Edda immer noch im Heim.
Ob man sie suchte? Vermutlich. Egal.
Irgendwas Gutes würde passieren.
Edda lief und lief und je klarer ihr Verstand in der Kälte wurde, desto klarer sah sie, wohin sie gehen würde.
Edda fand eine S-Bahn-Station und fuhr ein paar Haltestellen. Dann stieg sie wieder aus und ging weiter durch die Kälte. Bis sich ihre Schritte verlangsamten und die Gegend ihr bekannt vorkam. Sie blieb stehen. Hier, vor diesem leeren Grundstück, war sie mit der Lastwagenfahrerin aus Cuxhaven angekommen. Hier nebenan war die Wohnung von Marie gewesen. Doch wo das Haus gestanden hatte, war jetzt nur noch ein Berg von Schutt, aus dem Holzbalken ragten und auf dem Schnee lag.
Edda hörte ein Geräusch und drehte sich um.
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie sich eine Gestalt aus dem Dunkel löste. Edda erschrak kurz, denn gegen den Schein der Laterne konnte sie den Mann nicht erkennen.
„Hey!“, sagte die Stimme leise aus dem Dunkel. „Wo bleibst du denn? Ich frier mir hier den Arsch ab!“
Dann trat er einen Schritt vor in das Licht.
Es war Simon.
Edda fiel ihm in die Arme und begann vor Glück zu weinen. Für eine Weile standen sie in der Kälte und freuten sich an ihrer Vertrautheit wie ein altes Liebespaar.
Zufrieden sah der Hagere den beiden aus seinem Wagen zu und meldete die Neuigkeit weiter.
„Kalt“, sagte Edda dann.
Simon nickte. Er wollte Edda nicht wieder loslassen. Nie wieder.
Lange noch hatte er sich auf dem Gelände von Tempelhof herumgetrieben. Hatte den gesamten Wettbewerb abgewartet. Doch Nikto war nicht mehr aufgetaucht. Genauso wenig wie der Jet-Ballon. Simon hatte mitbekommen, wie Hubschrauber aufgestiegen waren, um nach dem entführten Ballon zu suchen. Ohne Erfolg. Spät in der Nacht war Simon gegangen. Er hatte wieder einen „Bruder“ verloren. Doch dieses Mal konnte er es ertragen. Weil er wusste, dass es Niktos Wille gewesen war. Er war weg. Verschwunden. Unsichtbar.
Simon war durch die Nacht gestromert, hatte sich in Kinovorstellungen geschlichen und sich dreimal irgendeinen Action-Schrott angesehen. Viel hatte er nicht mitbekommen. Er war trotz des Spektakels eingeschlafen. Um halb zwei hatte man ihn rausgeworfen. Er wusste nicht, wohin. Also landete er bei Thorben. Es brauchte ein paar ziemlich große Kiesel, die er an dessen Fenster warf, bevor Licht anging in Thorbens Wohnung. Simon hatte sich schon zu erkennen geben wollen, da sah er das Gespenst im Fensterrahmen. Thorbens Mutter zeterte hinaus. Simon hatte sich im Fenster geirrt. Zum Glück war Thorben wach geworden und mit seinem zweiten Versuch machte Simon ihn auf sich aufmerksam. Sie flüsterten und schließlich hatte Simon Thorben so weit, dass er ihm den Schlüssel für den Verschlag im Dach herunterwarf. Da hatte Simon übernachtet.
Morgens, bevor er in die Schule musste, war Thorben aufgetaucht, um sich nach Edda zu erkundigen. Er machte sich wirklich Sorgen. Und dann hatte er noch gesagt, dass Linus sich gemeldet hatte. Er hatte nach Simon und Edda gefragt und einen Treffpunkt genannt. » Tao « , ein chinesisches Lokal.
Simon hatte das Lokal ausfindig gemacht und war hinmarschiert. Es war geschlossen und Linus war nicht aufzufinden. Simon beschloss zu warten. Er hockte sich hin. Es waren wahnsinnige Tage, die er seit der Flucht aus dem Arrest hinter sich hatte. Verlockung. Abenteuer. Frauen. Geld. Und doch, wenn er überlegte, was er wirklich vermisste, dann kam ihm immer wieder nur ein Gesicht in den Sinn. Edda. Simon ärgerte sich, dass er so kitschig dachte. Aber wenn es so war. Wo Edda wohl steckte? Er dachte an sie und spürte, wie er lächelte. Und plötzlich fühlte sich Simon dort, wo er war, nicht mehr wohl. Er stand auf. Ging auf und ab. Aber irgendetwas trieb ihn weg vom » Tao « . Simon schlenderte durch die Straßen, die Hände tief in den Taschen. Er konnte ja später wiederkommen. Irgendwo
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