Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
ihn rauf. Halt die Schnauze, jetzt!“
Es wurde ruhig hinter der Tür und Simon hörte, wie unten im Hausflur der Summer ertönte. Sie wussten nicht, dass er bereits vor der Wohnungstür stand. Sollte er wieder abhauen? Irgendetwas stimmte nicht. Simon holte tief Luft und trat ein paar Schritte zurück. Dann ging er wieder auf die Tür zu, genau in dem Moment, als sie geöffnet wurde. Der Mann vom Balkon starrte ihn an und sah sich im Treppenhaus um.
„Bist du allein?“
Simon nickte. Mit einem Mal wurde ihm kalt. Der Mann war einer der beiden Häftlinge, die ihm im Gefängnis auf dem Weg zu seinem Vater auf der Treppe begegnet waren. Der Mann, der ihn angerempelt hatte. Er tat so, als würde er Simon nicht erkennen. Vielleicht erkannte er ihn wirklich nicht. Er trug eine Trainingshose und Adiletten, ging zum Treppengeländer und lauschte in die Tiefe.
„Was willst du?“
„Bloß kurz mit Bobo sprechen.“
„Er kommt gleich. Komm rein.“
Er kam zurück zur Tür und legte den Arm um Simons Schulter. Simon machte sich los, bevor der Mann ihn in die Wohnung schieben konnte. Doch der Mann ließ nicht locker. Der Geruch von Schweiß, Bier und Zigarettenrauch stieg in Simons Nase.
„Schon gut, ich warte unten!“, wehrte sich Simon.
Der Knacki aber verstärkte den Druck und Simon merkte, dass es ernst wurde. Er versuchte sich aus der Umklammerung zu lösen, während der Mann begann, ihn in die Wohnung zu stoßen, wobei er Simons Mund mit festem Griff zuhielt.
„Hilf mir!“, brüllte der Mann in die Wohnung.
Simon hörte, wie es einen Tumult hinter der Küchentür gab. Dann wurde sie aufgerissen und grelles Licht fiel in das Treppenhaus. Für einen Augenblick starrte Simon in die aufgerissenen Augen Bobos, der nackt mit einem Knebel im Mund auf einem Hocker saß und Simon Hilfe suchend ansah. Seine Glatze war blutüberströmt und vor ihm auf dem Tisch lagen eine Reihe Messer. Bobo wollte etwas sagen und erhob sich mit dem Stuhl, als jemand ihn von hinten zu Boden riss und mit einem Tritt die Küchentür zuknallte.
Simon war von dem Anblick des bleichen Kolosses, von dem rot das Blut tropfte, so irritiert, dass er zu spät auf die Attacke des Knackis reagierte. Der packte ihn von hinten und schob ihn in den kleinen Flur der Wohnung. Da schlug Simon mit seinem Fuß nach hinten aus und rammte dem Knacki seine Hacke mit aller Kraft zwischen die Beine. Keuchend brach der zusammen, richtete sich jedoch gleich wieder auf. Simon trat mit dem Stiefel gegen den Kopf des Mannes. Der schlug gegen den Türrahmen. Eine Waffe fiel aus seinem Gürtel und glitt über den Fußboden ins Treppenhaus. Wie ein bösartiges, dunkel schimmerndes Reptil lag sie da und glänzte. Da ging die Flurbeleuchtung aus. Simon sprang geistesgegenwärtig über den am Boden liegenden Knacki und griff nach der Waffe. Mit einem Griff hatte er sie in der Hand und richtete sie auf den Mann. Da trat plötzlich Geister-Bob aus der Küche in den Flur. Er war noch ein wenig bleicher, als Simon ihn in Erinnerung hatte, aber sein Lächeln war genauso verstörend wie bei der ersten Begegnung.
„Leg das Scheißding weg“, beruhigte ihn Geister-Bob mit sanfter Stimme. „Bevor noch was passiert. Du hast einen völlig falschen Eindruck von der Lage. Komm rein und ich erklär dir in Ruhe, was passiert ist. Bobo ist komplett durchgedreht und hat sich verletzt. Er hat aus Versehen was von dem Zeug genommen, das du deinem Vater mit in den Knast gebracht hast. Es sind noch ein paar mehr Jungs im Knast durchgedreht, die davon probiert hatten. Was immer das auch war ... das hat unseren weißen Riesen plattgemacht. Niemand hat Bobo etwas getan. Vielleicht kannst du uns ja helfen. Und ihm.“
Misstrauisch blieb Simon im Flur stehen und schüttelte den Kopf. Die Waffe war mit einem Mal so schwer, dass er sie mit beiden Händen halten musste. Geister-Bob streckte die Hand nach der Parabellum aus und Simon wich einen Schritt zurück. Die Männer warfen sich einen schnellen Blick zu. Würde Simon die Waffe benützen, wusste er, wie man sie entsicherte?
„Nu komm schon“, sagte Geister-Bob leise und sein schräges Lächeln spaltete seinen Kopf wie ein Schlag mit der Machete. „Nichts ist, wie es scheint. Das müsstest ihr doch langsam begriffen haben. Deine beiden Freunde und du. Übrigens wird dein Vater gleich hier sein. Wir haben ihm geholfen aus dem Knast zu kommen.“
Etwas in Simons Körper sandte Alarmwellen aus. War sein Vater tatsächlich auf dem Weg?
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