Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
Eingeatmet. Ausgeatmet. Bis die Kimme genau mit seinem Ziel übereinstimmte. Dann hatte Simon erneut abgedrückt und das ohrenbetäubende Krachen die Ruhe der Nacht zerplatzen lassen wie einen riesigen, schwarzen Ballon. Durch die Mauern in der Einfahrt klang der Schuss fast doppelt so laut wie ein normaler Schuss. Simon klingelten und rauschten die Ohren, während er sich weiter in die Einfahrt zurückzog. Gegenüber auf dem Dach war eine Satellitenschüssel zu Bruch gegangen. Nun hockte er zwischen Müllcontainern und beobachtete, wie die beiden Männer, die er von Linus und Edda weggelockt hatte, über Sprechfunk Verstärkung anforderten. „Polizei“, ging es Simon durch den Kopf. Und mit einem Mal war ihm klar geworden, wie er Bobo retten konnte. Indem er die Aufmerksamkeit auf die Wohnung lenkte, wo man ihn gefangen hielt. Deshalb hatte er auf das Fenster gezielt und abgedrückt. Wenn er ehrlich war ... Es fühlte sich gerade ganz gut an, eine so machtvolle Waffe in der Hand zu halten.
Sirenen heulten in der Ferne auf, kamen näher. Die beiden Polizisten waren immer noch in Deckung. Sie wussten nicht, ob jemand aus dem Fenster der Bobo-Wohnung geschossen hatte. Auch Linus und Edda hatten keine Ahnung, was geschehen war. Sie sorgten sich um Simon. Überall um sie herum waren Lichter an- oder ausgegangen. Menschen traten an die Fenster, versteckt hinter den Vorhängen, als könnten die spießigen Stoffe sie schützen. Die Neugier war einfach zu groß. Die Polizisten hielten das zersprungene Fenster im zweiten Stock im Blick. Erste Streifenwagen trafen ein und das blaue Licht wischte über die Fenster. Beleuchtete plötzlich eine nackte Gestalt am Fenster. Der Körper war blutüberströmt. An den ruckenden Körperbewegungen sah man, dass er gefesselt sein musste und versuchte, den Polizisten auf der Stra ß e ein Zeichen zu geben. Immer näher kam er an das zerschossene Fenster, stolperte dann, fiel nach vorne und dann geschah das Unfassbare: Bobo stürzte kopfüber in die Tiefe. Ohne einen einzigen Laut.
Und ohne die Aufmerksamkeit der Polizisten geweckt zu haben. Denn fast zeitgleich erschienen Geister-Bob und der Knacki im Hauseingang. Erstaunt wie brave, ängstliche Mieter, die dem Schrecken entkommen wollten, blickten sie sich um. Doch als die Beamten sie mit vorgehaltener Waffe aufhalten wollten, gingen sie einfach weiter und beschleunigten ihre Schritte, ohne auf die Aufforderung der Polizisten zu achten. Der Knacki redete etwas in einer osteuropäischen Sprache und als einer der Polizisten sich ihm in den Weg stellen wollte, zog Geister-Bob seine Waffe und schoss. Der Polizist fiel zu Boden und Geister-Bob und der Knacki verschwanden laufend in Richtung Edda und Linus. Der zweite Polizist zielte auf Geister-Bob, schoss und verfehlte ihn. Im gleichen Augenblick trafen Streifenwagen ein, die die Straße absperrten.
Simon starrte auf die Ballerei, als stünde er vor einer Riesenleinwand in einem 3D-Kino. Dann begriff er, dass alle abgelenkt waren von Bobo. Er huschte zu der Stelle, an der Bobo liegen musste. Aber er war nicht da. Simon schaute sich um. Immer noch hielt die Schießerei an. Geister-Bob und der Knacki hatten sich in einem Hauseingang verbarrikadiert. Simon konnte nicht fassen, dass Bobo verschwunden war. Schließlich war er gefesselt gewesen. Simon blickte zu dem Fenster hinauf, durch das Bobo gestürzt war. Er sah Glaszacken und spürte einen Tropfen auf seiner Stirn. Zäh floss er herab. Simon fasste hin und besah sich den Tropfen. Blut. Er schaute hoch. Da hing Bobo wie ein fetter Albino-Käfer in dem Haselnussstrauch. Seine Fesseln hatten sich in den Ästen verfangen und sein Leben gerettet.
„Mann, Bobo. Was machst du für’n Scheiß!“
Bobo lächelte.
„He, kleiner Kumpel! Sehnsucht gehabt?“
Simon war schnell den dichten Strauch hinaufgeklettert und hatte Bobo losbinden wollen. Doch das enorme Gewicht des immer noch nackten Riesen hielt die Fesseln zu sehr unter Spannung. Simon hängte sich einfach mit an den Ast, der Bobo aufgefangen hatte, um ihn zu brechen. Aber der Ast beugte sich nur. Zum Glück bis zum Boden. Die Fesseln rutschten aus der Astgabel und Bobo kullerte wie ein riesiger Marshmallow über den Rasen.
Simon löste seine Fußfesseln und konnte nicht anders als auf den massigen Körper zu schauen. Dann zog er sein Sweat-Shirt aus und reichte es Bobo. Der schaute ihn nur an.
„Nette Geste“, sagte er.
Simon begriff wie absurd seine Idee war, Bobos Blößen
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