Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
die Trennung von seinem Vater, die Tatsache, dass er im Gefängnis sitzt ... Ich hatte gehofft, dass euer Prozess ihn auffangen würde, ihm einen Sinn und eine Identität geben könnte, die ich als Mutter ihm nicht geben kann. Aber ... Es ist zu früh, ihn gehen zu lassen und ich werde es mein ganzes Leben bereuen, wenn ich diesen Schritt nicht tue. Ich kann nicht anders. Wenn du Simon nicht gehen lässt ...“
„Schon gut“, unterbrach Greta. „Schon gut.“ Genau das hatte Greta befürchtet. Eine Mutter, die mit ihrem Wissen an die Medien ging, konnte alles ruinieren. Jetzt kam es auf jedes Wort an.
„Wenn wir zum jetzigen Zeitpunkt in den Prozess eingreifen, wird alles beendet, wofür wir Jahre gearbeitet haben. Wir haben Unsummen von Geld und Zeit in Simons Weg investiert. Wir haben also mindestens ein genauso großes Interesse daran, dass es ihm gut geht – wenn nicht ein noch größeres.“
Verdammt, dachte Greta, den letzten Satz hätte sie sich sparen können. Was war nur los mit ihr in letzter Zeit? Die Augen von Simons Mutter verengten sich wie bei einem Raubtier. Lange würde sie rationalen Argumenten nicht mehr zugänglich sein. Greta richtete sich auf. Sie merkte, dass ihr Bein zu schmerzen begann. Kein gutes Zeichen.
„Selbstverständlich werde ich deinen Wünschen entsprechen. Wenn du es wirklich willst, werde ich Simon verständigen und aus dem Experiment nehmen. Du bist immer noch seine Mutter. Ich habe Respekt vor der Biologie.“
Greta lächelte scheinbar verständnisvoll. Simons Mutter nickte und presste die Lippen zusammen.
„Kommt bitte mit.“
Greta hatte sich wieder gefangen und ging neben Simons Mutter den Gang hinunter. Greta lächelte sie an.
„Vielleicht ist es wirklich das Beste so.“
Simons Mutter nickte.
„Wir werden Simon sofort holen.“
„Wird er denn einfach so zurückkommen?“
„Aber sicher. Wartet hier und wir erledigen parallel die Formalitäten.“
Greta deutete auf einen Mehrzweckraum tief im Inneren des Gebäudes, in dem zwei Sessel, ein kleiner Tisch und Getränke standen.
„Ich bin gleich wieder zurück.“
Bevor sie ging, drehte sie sich noch einmal um.
„Wirklich sicher?“
Simons Mutter nickte entschlossen mit dem Kopf.
„Dann soll es so sein“, sagte Greta ebenso entschlossen. Dankbar rang sich Simons Mutter ein Lächeln ab. Greta ließ Barbara und Mumbala allein zurück und schloss die Tür. Als Greta außer Hörweite war, griff sie zum Handy und wählte die Nummer der Technik. Niemals würde Greta Simon einfach gehen lassen; nicht wegen der Sorge eines Muttertiers, dem nichts Besseres einfiel, als mit einem Negerfürsten und diesem begabten Kind irgendwo in Mannheim-Jungbusch zu hausen.
Greta gab die Nummer des Raumes durch, in dem sich Barbara und Mumbala befanden. Dann befahl sie, das Kurzzeitgedächtnis der beiden zu löschen.
Mumbala legte wieder den Arm um Simons Mutter.
„Balde alle is gut und vergessen.“
| 2119 |
Edda stand an den Wagen gelehnt und schaute in den Himmel. An ihr vorüber rauschte der morgendliche Verkehr über die Schnellstraße. Was gerade im Inneren des Wagens vor sich ging, konnte Edda nicht ertragen. Bobo hatte sich von Linus Nadel und Faden geben lassen und war dabei, sich mithilfe einer Flasche Wodka zur Desinfektion die Wunden zu nähen, die ihm durch den Sturz aus dem Fenster am Bauch entstanden waren. Mit genauen Stichen stieß er die Nadel durch seine Haut und zog die Öffnungen der Wunden zusammen. Dann setzte er den nächsten Stich.
Zu viert steuerten sie dann in Olsens Wagen in den Morgen. Mit dem Messer von Linus hatte Bobo kurzerhand ein Loch in Timbers alte Wolldecke auf dem Rücksitz geschnitten und seinen runden Kopf hindurchgesteckt. Jetzt zupfte er ab und an schamhaft wie ein kleines Mädchen am unteren Rand des Ponchos, um seine blutbefleckte Blöße zu bedecken.
Bobo merkte, wie fremd, ja bedrohlich sein riesiger Körper auf die Jugendlichen in dem kleinen Wagen wirkte, aber seiner augenblicklichen Heiterkeit tat das kaum einen Abbruch. Ebensowenig wie die Schmerzen, die aus den vielen kleinen Brand- und Stichwunden in seinen Körper strömten, den man gefoltert hatte. Bobo war verdammt froh, aus der Wohnung der Verbrecher entkommen zu sein. Doch als Simon wissen wollte, was dort oben geschehen war, schüttelte er nur den Kopf und summte vor sich hin.
„Gibt Fragen, die besser Fragen bleiben.“ Dann schwieg er wieder, als sei der Fall damit für ihn erledigt. Doch Simon musste
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