Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
kichernd. Sie hörte sich diesen Blödsinn reden und fand es dennoch unglaublich komisch. Es kam so einfach über die Lippen. Herrlich leicht fühlte sie sich. Man muss doch nicht immer überlegen, was man sagt. Geht doch auch so. Sie gab Linus einen Kuss. „Und du“, sie wandte sich an Simon, „du, Simon, du bist jetzt Du-mon, wir kennen uns so lange, da will ich nicht mehr ‚ Sie ‘ sagen, Si-mon! Prost, Du-mon.“
Bevor Simon es verhindern konnte, trank sie aus. Linus schaute unter seiner Kappe hervor und lachte.
„Wir haben einen Plan. Einen genialen Plan“, sagte er. „Wir gehen durch die Scheiße! Durch die Scheiße zu den Sternen! Wie schon der Dichter sagt.“
„Egal, wie dicht du bist! Goethe ist Dichter“, rief Edda und die beiden lachten und Simon verschwand nach oben.
„Partypooper!“, rief Linus Simon hinterher. Sein Lachen und das von Edda verklangen. Trotz des Alkohols begriffen sie, dass ihre Fröhlichkeit gezwungen war. Was sich Linus da ausgedacht hatte, war gefährlich. Er wandte sich zu Edda, wollte sie fragen, ob sie sich sicher sei, das durchzuziehen, was er ausgetüftelt hatte. Da griff Edda schon nach seiner seltsamen Kappe und stülpte sie sich selber auf den Kopf.
„Wie geht das? Mach! Ich will das ausprobieren“, sagte sie.
„Ich weiß nicht ...“
„Mach schon. Ist doch super. Angst weg und dann holen wir Marie aus dem Teufelsberg.“ Edda drängte. Sie spürte ihre Bedenken an dem Wahnwitz, den sie vorhatten. Doch sie wollte jetzt nicht mehr zweifeln. Ihr ganzes Leben war so voller Zweifel gewesen. Bin ich schön? Wer ist mein Vater? Wo ist er? Hätte er mich lieb? Was denken meine Freunde über mich? Hab ich Mundgeruch? Scheiße! Nein. Da waren schon genug Stolpersteine in ihrem Leben.
Edda kippte das Glas auf Ex. „Mach, Linus. Sonst mach ich’s.“ Sie griff nach den Schaltern und stellte sie auf » ON « . Mit einem leisen Fiepen fuhr der Generator hoch, der die Frequenzen erzeugte. Linus schaute auf die Skalen, die Dioden, die sich blinkend einpegelten. Vielleicht hatte Edda ja recht. Angst konnten sie im Moment gar nicht gebrauchen. Was war schon dabei. Eine kleine Dosis nur. Er erinnerte sich an den Ablauf in Olsens Gartenhaus. Die Kappe, der Kopfhörer für die Frequenzen, die hypnotischen Zeichen auf dem Bildschirm, die Brille, die den Blick darauf fixierte. Linus bereitete alles vor.
„Vielleicht sollte erst mal ich probieren“, sagt er, aber Edda ließ das nicht zu. Sie hatte sich entschieden. Vor ein paar Monaten noch war sie eine große Verfechterin von Botox und SchönheitsOPs gewesen. Warum sollte man nicht optimieren, was die Natur verschludert hatte? Edda war das inzwischen herzlich wurscht geworden. Aber wenn man gegen die eigenen Gesichtszüge und Proportionen zu Felde ziehen konnte, warum nicht gegen Angst? Linus setzte ihr die Brille auf und rückte Edda mit dem Baumstamm, auf dem sie hockte, in die richtige Position vor den Monitor. Er verband die Drähte, die an der Kappe hingen, mit dem Steuerungsmodul. Dann suchte er im Computer nach der Datei mit den Hypnosezeichen und rief sie auf.
„Fast wie deine Sonnenräder“, staunte Edda.
„Ja“, bestätigte Linus. „Es geht los.“ Er pegelte die Frequenz ein, wie er es damals getan hatte und schaute auf die Uhr. Zehn Minuten, mehr wollte er Edda erst einmal nicht zumuten. Er sah ihr zu, wie sie sich auf die Bilder konzentrierte. Ihr Gesicht verlor alle Anspannung, wurde offen und klar. Es war, als würde Linus zum ersten Mal die wirkliche Schönheit dieses Mädchens sehen. Unverstellt. Ohne jeden Schutz. Verwundbar. Und dadurch so einnehmend, dass Linus den Blick gar nicht abwenden konnte. Eddas wunderschöne Haare, die schlanken Beine, ihr Körper. Linus begriff, dass die wahre Schönheit dieses Mädchens keine äußerliche war. Edda schien von innen zu leuchten. Es war nicht mehr wichtig, dass sie ein Mädchen war und er ein Junge. Linus fühlte sich zu diesem Menschen hingezogen, zu dessen Kraft und Tiefe. „Gerettet“, dachte er.
Edda schüttelte den Kopf. So heftig, dass der Kopfhörer herunterfiel. Dann schlug sie die Hände vors Gesicht. Sie atmete durch, kam zur Ruhe. Sie hörte Linus’ besorgte Frage, doch sie antwortete nicht. Es gab keinen Grund zur Sorge. Es war nur zu viel. Zu viel des Guten. Das Rauschen auf den Kopfhörern, die Zeichen auf dem Bildschirm. Immer tiefer war Edda eingetaucht. Ja, eingetaucht. Aber wohin? In meine Seele? In mich? Es hatte sich angefühlt
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