Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
gehört.“ Er nahm die Zigarette aus dem Mund und deutete auf die Apparatur, die auf einem Tisch im Hintergrund stand und auf der seine Kopfhörer lagen. „Waren keine Deutschen.“ Zufrieden mit dem Bügel-Resultat platzierte er das Hemd auf einem stummen Diener aus Holz. „Es wird nicht mehr lange dauern, dann werden die ersten Bomben auf die Stadt fallen ...“
Marie zog ein Sommerkleid an und setzte sich an den Tisch, den ihr Vater gedeckt hatte. Marmelade, Brot und gekochte Eier. Dazu gab es Milch und Tee für Marie und türkischen Kaffee für Bernikoff, der dazu seine zweite Zigarette rauchte.
„Also, was ist das Abaton?“, fragte Marie und schlürfte den Tee hinterher.
Bernikoff blies den Rauch der Zigarette durch die Nase, schaute hinterher, wie er sich auflöste.
„Eigentlich ist Abaton ein Ort in der griechischen Mythologie. Er ist nur für Eingeweihte betretbar. Doch ich habe herausgefunden, dass es in jeder Kultur ein Wort für das Abaton gibt.“ Er hielt inne, sammelte seine Gedanken. Er wollte sie möglichst klar und überzeugend formulieren. „Abaton steht meiner Überzeugung nach für etwas im Menschen, das nicht beschrieben, nicht gemessen und auch nicht gesehen werden kann. Aber ein jeder trägt es in sich. Ich bin sicher.“
„So was wie die Seele?“
Bernikoff nickte. Schüttelte dann den Kopf.
„Es ist mehr. Es ist ... das Tiefe, Weise und auch das Dunkle, das Mystische. Ich glaube, wenn die Menschen ihr Abaton erreicht haben, wird es das Ende der Angst bedeuten und setzt somit auch der Verlockung, Böses zu tun, ein Ende.“ Bernikoff hatte sich in philosophische Begeisterung geredet und hielt inne. Er wollte Marie nicht verschrecken und redete sachlich weiter. „Vor über 2000 Jahren wurde es durch Platon aus dem Leben der Menschen verdrängt – zugunsten des Materiellen. Der Vernunft. Technik, Krieg und Konsum wurden zum Motor der Welt.“
„Aber es ist noch da; das Abaton.“
„Ja. Ja. Ich bin überzeugt, es ist da. Man muss es nur wieder erwecken.“
„Hiermit?“
Marie klopfte mit der flachen Hand auf das Buch. Bernikoff lachte.
„Es war mein erster Versuch. In Geschichten, Magie und Zauberei durfte es bis vor dem Dritten Reich noch überleben – als eine Art Hirngespinst.“ Bernikoff versank wieder kurz in seine Gedanken. „Ich glaube, ich hab es dennoch immer zu wissenschaftlich erforscht. Zunächst dachte ich, der Weg zum Abaton sei eine Konstante, dann merkte ich, dass auch das Abaton sich entwickelt. Es konnte kein linearer Weg sein; verstehst du? Die Theorie einer Konstanten war falsch.“ Er sah Marie an und erkannte, dass sie wirklich interessierte, was er sagte. Dass er sie erreichte. Es freute ihn. Umso mehr bemühte er sich nun, jeden neuen Satz aus dem vorherigen zu entwickeln, damit Marie weiter folgen konnte. „Ich kam dann auf die Form eines Kegels als Weg zum Abaton. An der Spitze das Ziel, das Abaton, und in unzähligen, langsam aufsteigenden Kreisen führt der Weg dorthin. Immer wieder auch durch das Ungute, das Dunkle, aber immer weiter hinauf.“ Er veranschaulichte, was er meinte, indem er mit der Hand, in der er seine Zigarette hielt, eine spiralförmige Bewegung nach oben machte. Der Rauch folgte seiner Bewegung und für einen winzigen Moment stand da ein Kegel aus Rauch über dem Küchentisch. Marie und ihr Vater freuten sich darüber, lächelten und schauten zu, wie das Abbild von Bernikoffs Kegeltheorie wieder verschwand.
„Das ist also deine Abaton-Theorie?“, fragte Marie.
„Nein. Es war meine Theorie; damals. Ein Muster aus Rückschlägen und Fortschritten, die ich in der Bienengeschichte als Abenteuer erzählte.“
„Das ist dir gut gelungen!“
„Vielleicht, aber die Geschichte beruht leider auf einem Irrtum. Auch die Kegeltheorie war zu kurz gedacht.“
Er schaute Marie in die Augen.
„Die Realität hat sie ad absurdum geführt. Mittlerweile leben wir fast zehn Jahre unter der Herrschaft des Unguten, des Dunklen. Es gibt keine Bewegung mehr nach oben. Es gibt kaum noch Hoffnung, kaum noch Positives. Und die Menschen haben sich daran gewöhnt.“
Er verstummte und Marie spürte die Enttäuschung ihres Vaters über diese Entwicklung. Sie schaute auf die bunten Bilderabenteuer der beiden Bienen Deos und Mandi.
„Ich bin überzeugt, dass es ein Urrecht des Menschen gibt, ein Leben im Abaton zu führen“, begann ihr Vater wieder und Trotz und Kraft lagen in seiner Stimme. „Jetzt muss das Abaton in den Menschen
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