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Abaton

Abaton

Titel: Abaton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Jeltsch
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Zeilen ließen keinen Zweifel daran, dass sie ein Paar gewesen waren.
    Vielleicht lag es am Krieg, dachte Edda. Die Stadt wurde bombardiert, Teile von Berlin lagen bereits in Schutt und Asche. Waren Maries Eltern vielleicht schon tot? Oder hatte sich in den Wirren der Zeit niemand für ein junges Mädchen interessiert? War man froh gewesen, dass sich Bernikoff um sie kümmerte? Marie schrieb kein einziges Wort über ihre Eltern. Nichts über die Schule oder einen Alltag außerhalb ihres Lebens mit dem Magier. Als Edda das Tagebuch nach einer Stunde zuschlug, war sie sprachlos. Sie klappte ihren Laptop auf und gab den Namen Bernikoff in die Suchmaschine ein. Dabei stieß Edda auf eine seltsam anmutende Webseite mit alten Fotos, einem in Sanskrit geschriebenen Dokument und Hinweisen auf eine Reihe von Büchern und Aufsätzen, die Bernikoff vor langer Zeit verfasst hatte, darunter auch ein Artikel in Deutsch. »Die Bernikoff-Konstante«. Edda meinte, schon mal davon gehört zu haben. Eines der Bilder von Bernikoff zeigte einen eleganten Mann mit silbernem Haar, das früher einmal schwarz gewesen sein musste. Er trug einen dichten Schnurrbart und hatte dunkle, intensive Augen, die Edda aus der Vergangenheit anschauten, als wäre dieser Mann immer noch lebendig. Egal, aus welcher Richtung sie das Bild betrachtete, die Augen Bernikoffs schienen ihr zu folgen. Bernikoff lächelte leicht, wie jemand, der sich seiner Weisheit bewusst ist und nicht viel Aufhebens darum macht. Er war cool, fand Edda. Auf dem anderen Bild war er jünger und hatte einen Turban auf dem Kopf. Aber er sah nicht aus wie Furioso auf dem Plakat, sondern wie ein echter Inder. Vor einem Haus mit Bediensteten stand ein großer Wagen mit offenem Verdeck und die Männer auf dem Bild trugen Waffen. Auch hier stachen Bernikoffs Augen heraus. Sie machten Edda Angst, doch gleichzeitig strahlten sie etwas Gütiges und Vertrauenserweckendes aus. Edda verstand auf Anhieb, weshalb sich Marie in ihn verliebt hatte. Edda wünschte, dass auch in ihr Leben ein Mann treten würde, der diese Ausstrahlung und Ernsthaftigkeit, solche Güte und Freundlichkeit besaß.
    Nach 1945 verlor sich Bernikoffs Spur. Jedenfalls im Internet. Keine Veröffentlichungen mehr. Kein Bild. Auch der Große Furioso war nicht mehr in Erscheinung getreten.
    Vielleicht hatte er seinen Namen geändert. Oder er war gestorben.
    Edda klappte ihren Laptop wieder zu. Ihr Blick fiel erneut auf die Zeitungsausschnitte mit der Bildergeschichte »Abatonia«, auf die Titelillustration – den Bienenschwarm, der die Form des Sonnenrads hatte. Der Cartoon war 1944 in der »Berliner Zeitung« erschienen. Im Stil der damaligen Zeit waren die Bilder sehr detailgetreu gezeichnet. Es war die Geschichte eines friedlichen Bienenvolkes, das offenbar einer verschlagenen Spinne auf den Leim geht, die allen Honig der Welt für sich haben will und das Volk in den Kampf mit anderen Bienen führt. Nur die beiden Arbeitsbienen Deos und Mandi entkommen dem Schrecken und gelangen auf eine tropische Insel, auf der sie weder Pflanzen noch Blumen kennen.
    Edda stutzte. Die Landschaft der Insel, die Palmen in dem alten Comic kamen ihr bekannt vor. Sie musste an den Film über Engelhardt denken, den sie im Berliner Völkerkundemuseum gesehen hatten.
    Dieser Fund auf dem Dachboden wurde immer dubioser. Wie war es möglich, dass es zu fast jedem einzelnen Stück eine Verbindung zu ihrem Leben gab? Edda wollte dem unbedingt auf die Spur kommen.
    Im zweiten Teil der Bildergeschichte wurden die Bienen von großen Insekten verfolgt. Deos und Mandi kämpfen um ihr Überleben und damit um das Überleben ihrer Rasse. Sie retten sich in eine winzige Höhle. Hier hatte scheinbar einmal ein Bienenvolk gelebt. Sie stöbern herum und entdecken das »Bienenbuch der Tänze«; die utopische Beschreibung eines funktionierenden Bienenstaats.
    Immerzu ging es damals um den Staat und die Rassen, dachte Edda. Warum waren die Menschen nicht einfach Menschen? Wozu brauchten sie diese trennenden Begriffe? Der Gedanke, dass der »Schwänzeltanz« der Bienen nicht nur dazu diente, den anderen Bienen zu signalisieren, wo sich eine Nahrungsquelle befand, sondern auch dazu, einen neuen Staat aufzubauen, gefiel Edda. Oft hatte sie die „Schwänzeleien“, wie Marie die Tänze nannte, bei den beiden Bienenvölkern im Garten beobachtet, die Marie und Edda den Honig lieferten.
    Wieder war Edda fasziniert von der Zeit, in der Marie gelebt hatte. Wie reichhaltig

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