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Abaton

Abaton

Titel: Abaton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Jeltsch
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sie bei allen Schrecken doch gewesen war! Edda schien es, als sei es damals immerzu um lebenswichtige Fragen gegangen. Als hätten die Menschen unter dem Einsatz ihres Lebens nachgedacht und ihre Fantasie bemüht. Selbst in den Comics. Und sie überlegte, wie die Geschichte der Bienen wohl weitergegangen war – schade, dass sie nur die ersten drei Folgen hatte! Wie hätte sie die Geschichte ausgehen lassen? Edda entwickelte die Geschichte im Geiste weiter: Die beiden Bienen würden einen neuen Staat aufbauen und von diesem neuen Staat würden sich dann zwei Bienen aufmachen in die Welt. Schließlich würden sie zurückkehren an den Ort, wo Deos und Mandi einst hergekommen waren. Ein ewiger Kreislauf.
    Edda war aufgestanden, zum Fenster gegangen und hatte es geöffnet. Das Gewitter war vorübergezogen. Tief sog sie die herrlich klare Luft ein.
    Edda kehrte zu ihrem Bett zurück und schlug das Tagebuch ihrer Großmutter wieder auf. Sie war sich jetzt sicher, dass Marie nichts dagegen haben würde, wenn sie ihr Tagebuch las. In jedem Satz war die Liebe spürbar, die aus Maries Herzen in die Zeilen geflossen war. Wieso erkannte sich Edda in den Gedanken, Wünschen und Sehnsüchten ihrer Großmutter viel mehr wieder als in denen Lindas und der anderen Mädchen in ihrer Klasse? Wieso sehnte sich Edda so nach den großen
und wahren Gefühlen, die ihre Großmutter beschrieb?
    Wo Marie nur steckte?
    Edda hätte ihr gern so viele Fragen gestellt. Aus der Ferne hörte Edda das Geräusch eines vorbeifahrenden Autos. Marie war noch nie so lange fortgeblieben, ohne von sich hören zu lassen. Keine Nachricht, kein Anruf. Zwar war sie manchmal auf Reisen oder besuchte irgendwelche Freunde, die sie auf der ganzen Welt zu haben schien, aber da wusste Edda immer, wie sie Marie erreichen konnte. Sie legte das Tagebuch auf ihren Nachttisch und ging die Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Dann zog sie sich Gummistiefel und die Regenjacke an und nahm die Taschenlampe, die auf dem Sims im Flur lag. Über der Lektüre des Tagebuchs und der Zeitungsausschnitte und dem Betrachten der Fotos hatte Edda gar nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen war. Sie hatte tatsächlich einen ganzen Tag verbummelt!
    Sie öffnete die Tür zum Garten und trat in die Nacht hinaus.
    Die Glasharfen über der Tür klimperten leicht im Wind, der etwas nachgelassen hatte. Das Gewitter war weiter landeinwärts gezogen. Nur in großer Ferne sah Edda hin und wieder noch einen Blitz leuchten.
    Edda stapfte durch das nasse Gras in Richtung Deich. Die Tiere hatten sich verkrochen und der Mond kam hinter den Wolken hervor und leuchtete ihr den Weg.
    Edda ging durch ein kleines Waldstück und hielt den Strahl der Taschenlampe vor sich auf den Weg. Zwei kleine Lichter funkelten plötzlich auf und reflektierten den Schein der Taschenlampe. Edda hatte keine Furcht. Vor ihr saß Harry, ein kleiner dunkler Kater, der den Nachbarn gehörte. Edda kam das Märchen in den Sinn, das ihre Mutter ihr so oft vorgelesen hatte. Das einzige Kinderbuch, das Edda in Indien besessen hatte.
    „Das ist der kleine Hinze. Er will die Sterne nachmachen“, sprach sie leise vor sich hin und merkte, wie die Worte sie beruhigten. Es war die Geschichte von einem kleinen Jungen, der nachts nicht schlief und sich auf den Strahlen des Mondes fortbewegte. Bis er ins Meer stürzte. Der Mond war Edda seitdem nicht mehr geheuer. Immer wenn er voll wurde, wurde Edda unruhig. Das hatte sie mit ihrer Mutter und mit Marie gemeinsam.
    „Hinze, was machst du da?“, fragte Edda den kleinen Kater.
    „Ich illuminiere!“, beantwortete sie mit verstellter Stimme die Frage. Wenn man sie als kleines Mädchen gefragt hatte, hatte sie immer diese Antwort gegeben. Wie cool man als kleines Kind doch war. Edda nahm sich vor, hin und wieder ein bisschen kindlicher zu sein.
    Sie erreichte einen der Plätze, an denen ihre Großmutter die Blitze einfing. Marie hatte hohe Metallstangen aufgestellt, um die Blitze ins sandige Erdreich zu locken. Und tatsächlich ... der Sand war an diesen Stellen geschmolzen. Als Edda die Hand auf die glatte Stelle am Boden legte, spürte sie, dass der Sand noch warm war. Edda wusste, wie vorsichtig Marie die geschmolzenen Glasstäbe aus dem Sand grub. Dort, wo die größte Energie des Blitzes in den Boden gefahren war. Die Stäbe ähnelten bläulichen Knochen. Durch die Energie des Blitzes wurde der Sand im Inneren herausgeschleudert und der geschmolzene Sand darum herum zu hartem, aber sprödem

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