Abaton
richtigen Dosis heilen, in der falschen jedoch tödlich sein kann.“
„Haben Sie Menschen getötet?“, traute sich Linus schließlich zu fragen.
Olsen hielt inne, als tauche er tief in seine Erinnerung. Dann stand er wortlos auf. „Geh jetzt auf die Toilette“, sagte er und der warme, freundschaftliche Ton war aus seiner Stimme gewichen. „Und du kommst erst wieder heraus, wenn ich es dir sage.“ Er deutete zu der zweiten Tür und Linus verschwand.
Es war ein karges Badezimmer. Klo, Dusche, Waschbecken. Linus wollte sich gerade auf die Schüssel hocken, als die Tür noch einmal aufging.
„Wenn Sie mit ihm reden ... Können Sie ihn dann fragen, warum er hinter mir her ist?“, bat Linus.
Olsen gab ihm wortlos den Laptop. „Wenn etwas schiefgeht, rufst du die Polizei an“, sagte er. „Hast du ein Handy?“
„Ja ... aber was kann denn schiefgehen?“, fragte Linus plötzlich besorgt.
„Keine Ahnung, hab das hier in dieser Form noch nie gemacht“, sagte Olsen. „Knips das Licht aus!“
Damit verschwand er und Linus saß allein im Dunkeln. Auf dem Monitor konnte Linus verfolgen, wie Olsen alle Hinweise auf die Behandlung, der er Clint unterzogen hatte, wegräumte. Die Kappe, die Lederbänder, mit denen der Mann festgeschnallt gewesen war. Olsen schaltete den einen Computer mit den seltsamen Hypnosezeichen aus und verschloss ihn in dem Stahlschrank. Der Raum sah nun aus wie ein normales, kleines Schlafzimmer mit PC-Arbeitsplatz. Olsen hockte sich in seinem Rollstuhl an seinen Computer und tat, als surfe er im Netz.
Kurz darauf regte sich Clint. Er rieb sich die Augen und sah schließlich Olsen. Mühsam setzte er sich auf.
Linus konnte die Szene am Bildschirm verfolgen, aber nicht hören, was die beiden Männer redeten. Aber offensichtlich hatte der Söldner einen dicken Kopf. Olsen zeigte ihm eine leere Wodkaflasche und der Söldner starrte sie an. Und nickte dann.
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„Mann, ich vertrag einfach nix mehr.“ Clint hockte auf der Kante der Liege und nickte mit schwerem Kopf. „So hab ich aber lang nich’ mehr gesoffen.“ Er schaute auf. „Muss ma’ pissen.“ Er richtete sich auf und suchte nach der Tür zum Bad.
Olsen blieb locker.
„Spülung is’ im Arsch“, sagte er. „Geh raus in den Garten.“ Er deutete hinaus. Langsam begann es, hell zu werden.
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Auf dem Bildschirm sah Linus, wie der Söldner wieder von draußen hereinkam und sich kurz darauf von Olsen verabschiedete. Er hörte nicht, dass Clint versprach, sich zu melden, wenn er wieder in Köln war. Dass er jetzt nach Mannheim fahren musste.
Nachdem Linus gesehen hatte, wie die Haustür ins Schloss gefallen war, kam er aus der Toilette. Olsen, der noch im Rollstuhl saß, drehte sich um und sah Linus ärgerlich an.
„Erst, wenn ich dich hole, hatte ich gesagt!“
Linus machte eine entschuldigende Geste. „Es hat funktioniert, oder?“, fragte er.
„Scheint so“, sagte Olsen, doch er klang nicht völlig überzeugt.
„Wie ...?“ Linus wollte ihn fragen, was genau er mit diesem Söldner gemacht hatte, aber Olsen ließ ihn nicht ausreden.
Er schüttelte den Kopf. Es gab jetzt Wichtigeres zu besprechen. „Was war in Berlin?“, fragte Olsen. Clint hatte ihm von seinem Auftrag erzählt. Keine Details jedoch, nichts über den Auftraggeber, aber genug, dass Olsen die Brisanz begriffen hatte. Linus sah in die Augen dieses immer noch fremden Mannes und fand dort so viel ehrliches Interesse und Wärme, dass er zu erzählen begann.
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Simon wurde wach. Es regnete leicht. Er schaute sich um. Er lag in dem Kahn, den der frühe Wind ans Ufer des Sees zurückgetrieben hatte. Sein Nacken schmerzte. Er stand auf und huschte an Land. Ihm war kalt. Es war die Zeit zwischen Nacht und Tag. Die Zeit, in der die Hoffnung noch wächst.
Simon war in der Nacht die ganze Strecke vom Friedhof hierher gelaufen. Es hatte ihm gutgetan, sich zu spüren. Die kühle Luft.
Vor dreieinhalb Jahren hatte er auch hier gesessen. Bis in die Nacht hatte er auf das schwarze Loch im weißen Eis gestarrt. Nichts und niemand hatte ihn wegschaffen können. Jetzt lag der See ruhig und schwarz vor ihm.
„Mama heiratet den Neger. In Afrika“, sagte er, nahm ein paar flache Steine vom Ufer und ließ sie über das Wasser springen. Im fahlen Licht des Mondes waren nur die Ringe zu sehen, die sich von den Berührungspunkten zwischen Stein und See immer weiter ausdehnten. Simon hatte sich in das Ruderboot gesetzt, das ohne Ruder am Ufer lag.
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