Abbau Ost
prosperierende,
vornehmlich mittelständisch geprägte Wirtschaft, schien nahezu unerschöpflich. Die europäischen Nachbarn schauten mit Respekt
auf den deutschen Wirtschaftsgiganten und verbargen ihren Neid hinter den üblichen Vorurteilen, denen das laute und unbescheidene
Auftreten der Westdeutschen reichlich Nahrung bot. Noch in den 80er Jahren schien den Deutschen einfach alles zu gelingen.
Junge Karrieristen aus aller Welt planten ein Praktikum in der Bundesrepublik und suchten hier, im Musterland der sozialen
Marktwirtschaft, den Schlüssel zu Reichtum und Wohlstand. Viele waren fasziniert. Ein Blick auf die blank polierte bundesrepublikanische
Oberfläche zauberte noch jedem ein Lächeln ins Gesicht.
Wer allerdings genauer hinschaute, dem erstarb das Lächeln. Während sich die Welt immer schneller veränderte und andere Staaten
ihre Probleme anpackten, verharrte Deutschland in Selbstgefälligkeit. Der Leidensdruck war während der 80er Jahre in Westdeutschland
noch nicht so groß wie in anderen Industrienationen, doch auch in der Bundesrepublik vollzogen sich Entwicklungen, die dringend
korrigiert werden mussten. So tauchten im Bundestag bereits in den 70er Jahren erste Studien auf, die eindringlich vor der
Weiterführung des »umlagefinanzierten« oder über Generationen finanzierten Sozialversicherungssystems warnten. Stark rückläufige
Geburtenraten setzten nicht nur den oft bemühten, im rechtlichen Sinne nie wirklich geschlossenen Generationenvertrag außer
Kraft, fortan wurde deutlich, dass die Bundesrepublik ihren Wohlstand zu Lasten künftiger Generationen |40| finanzierte. All jene, die mit ihren Sozialversicherungssteuern den Ruhestand und die medizinische Versorgung der alten Generation
bezahlten, würden als Rentner selbst nicht mehr in den Genuss jener Leistungen kommen, die sie während ihrer Berufstätigkeit
anderen ermöglichten. Der Generationenvertrag, daran bestand schon damals keinerlei Zweifel, ließ sich allenfalls noch über
eine Generation fortführen, bis dem System nach einer Phase immer schneller steigender Sozialversicherungsbeiträge der Kollaps
drohte. Trotz dieser beängstigenden Prognose blieben die Verantwortlichen über zwei Jahrzehnte untätig und erweiterten die
umlagefinanzierten Sozialversicherungen, sozusagen als höchste Form des sozialpolitischen Autismus, sogar noch Mitte der 90er
Jahre durch die Einführung der Pflegeversicherung.
Die Probleme mit steigenden Sozialversicherungssteuern und einem Umlagesystem, bei dem die Alten auf Kosten der Jungen leben,
beschrieben längst nicht alle Krankheitssymptome der rein äußerlich immer noch vital wirkenden alten Bundesrepublik. Schon
seit Anfang der 70er Jahre stieg die Arbeitslosigkeit in Westdeutschland kontinuierlich an. Zwar ließen sich am Verlauf der
Arbeitslosenkurve die Konjunkturzyklen nachzeichnen, doch zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung hatte sich das Heer der Arbeitslosen
über zwei Jahrzehnte ständig vergrößert. Bereits 1974 stieg die Arbeitslosenzahl auf über eine Million, verharrte sechs Jahre
lang auf diesem Niveau, um sich dann binnen zweier Jahre auf zwei Millionen zu verdoppeln. Mitte der 80er Jahre näherte sich
die Zahl der Arbeitslosen bedrohlich der Zweieinhalb-Millionen-Grenze. Die wirtschaftliche Stimmung in Westdeutschland Ende
der 80er Jahre, Altbundesbürger werden sich erinnern, war überhaupt nicht gut. Neben leistungsstarken, global agierenden Konzernen
und einem international wettbewerbsfähigen Mittelstand hatte sich in Westdeutschland eine träge und kostspielige Staatswirtschaft
etabliert und auf dem Wege der Ämterpatronage feine Verästelungen in die Parteien und öffentlichen Verwaltungen ausgewachsen.
Diese Staatswirtschaft trat erst seit der deutschen Einigung, im Zuge von Privatisierungsbestrebungen, nach und nach aus dem
Schatten kommunaler Haushalte, sodass deren |41| Beschäftigtenzahl (außer Post und Bundesbahn mit allein 789 200 Beamten, öffentlichen Arbeitern und Angestellten) vom Statistischen
Bundesamt nicht einmal gesondert erfasst wurde. Manfred Röber, Leiter des Studienganges »Public Management« an der Berliner
Fachhochschule für Technik und Wirtschaft, schätzte in seiner 2001 veröffentlichten Studie ›Das Parteibuch – Schattenwirtschaft
der besonderen Art?‹ den Anteil staatseigener Unternehmen an der Gesamtwirtschaft selbst heute noch, nach der Privatisierung
von Post und Bahn und
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