Abbau Ost
der 80er Jahre, als die DDR selbst nach dem
Wegfall der Nachkriegsdoktrin, nach einer langen, weltweit begrüßten Entspannungsphase und dem Verschwinden jener Zwänge,
die zur Gründung eines zweiten deutschen Staates geführt hatten, sozusagen als Selbstläufer bis zur unkontrollierten Maueröffnung
am 9. November 1989 weiterexistierte, und endete mit einem nie da gewesenen wirtschaftlichen Kahlschlag mitten in Europa.
Über den gesamten Zeitraum hinweg eröffneten sich Gestaltungsmöglichkeiten, die weit bessere Ergebnisse erwarten ließen als
ein wirtschaftliches Notstandsgebiet. Doch eine öffentliche Debatte, was denn überhaupt und aus welchen Gründen schiefgelaufen
ist, hat es niemals gegeben. Wer den allgemeinen Verlautbarungen glaubt, muss den Eindruck gewinnen, die Deutschen haben sozusagen
den Prototyp, die nach neuestem Kenntnisstand beste aller Wiedervereinigungen geschaffen. In Anlehnung an den Kurt Biedenkopf
zugeschriebenen Ausspruch stellt sich die Frage: Würde es die Bundesrepublik tatsächlich besser anstellen, wenn es für die
deutsche Einigung eine zweite Chance gäbe?
Zumindest die Ostdeutschen, so viel steht fest, würden beim zweiten Mal ihre eigenen und die gesamtdeutschen Interessen zu
wahren wissen.
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|46| Westgeld
Das kollektive Währungserlebnis wird allen ehemaligen DDR-Bürgern immer im Gedächtnis bleiben. Über die Konsequenzen des D-Mark-Umtausches
sorgte sich kaum jemand, irgendwie war zum damaligen Zeitpunkt jeder mit sich selbst beschäftigt. Die Währungsumstellung war
in der Öffentlichkeit fast ausschließlich positiv dargestellt worden. Kein westdeutscher Politiker, auch nicht Oskar Lafontaine,
warnte in der gebotenen Eindringlichkeit vor den verheerenden Auswirkungen speziell auf die ostdeutsche Wirtschaft, obwohl
die Folgen, wie wir heute wissen, zumindest in den internen Zirkeln des Bundesfinanzministeriums sorgfältig erwogen worden
waren. Aber selbst wenn jedem DDR-Bürger die Folgen der Währungsumstellung auf ein Blatt Papier geschrieben worden wären und
eine Volksabstimmung stattgefunden hätte, eine große Mehrheit hätte wohl dennoch für die D-Mark gestimmt. Die Ostdeutschen
konnten die D-Mark-Offerte des Westens – das versteht jeder, der ihre Geschichte kennt – unmöglich ablehnen.
Dennoch musste der Einigungsprozess nicht zwangsläufig mit der Währungsumstellung beginnen. Die immer wieder bemühte These,
der Westen hätte keine Wahl gehabt, die damalige Situation ließ sich nur stabilisieren, indem die Bundesregierung den Forderungen
der aufgebrachten Masse nach einer schnellen Einführung der D-Mark nachgab, war eine vom Bundesfinanzministerium in die Welt
gesetzte, der eigenen Rechtfertigung dienende Notlüge. Auch jenes zur Begründung dieser These immer wieder hervorgeholte Foto,
das Demonstranten und ein Transparent mit der Aufschrift zeigt: Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, gehen wir
zu ihr!, verfälscht den Ablauf der Ereignisse. Nicht ein DDR-Bürger hätte eine derartige Forderung erhoben, bevor er nicht
von westdeutschen Politikern dazu ermutigt worden wäre. Das Bundesfinanzministerium hatte die Währungsumstellung bereits im
Dezember 1989 vorbereitet, zu einem Zeitpunkt, als noch kein DDR-Bürger auch nur davon zu träumen wagte. Das Nebeneinander
zweier Währungen wäre in |47| Ostdeutschland für eine Übergangszeit durchaus denkbar gewesen. Schon vor der Wende war die D-Mark in der DDR als Zweitwährung
etabliert.
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Das solidarische Opfer
Da saßen sie nun, die Noch-DDR-Bürger, die laut Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland schon immer Bundesbürger waren,
zählten ihr erstes Westgeld und planten eine erste größere Anschaffung, möglicherweise einen preiswerten Gebrauchtwagen. Die
Währungsunion zwischen der Bundesrepublik und der Noch-DDR war, abgesehen von kleineren, staatlich geduldeten Betrügereien,
ruhig abgelaufen. Westdeutsche Spekulanten hatten sich im Hinblick auf die D-Mark-Umstellung mit reichlich Ostgeld eingedeckt.
Zwischen Oktober 1989 und Juni 1990 mussten in den illegalen Wechselstuben für eine Westmark zwischen drei und neun Ostmark
gezahlt werden. Dabei führte das Ein- und Ausfuhrverbot der Ostmark von vornherein zu hohen Abschlägen. In Extremfällen soll
der Schwarzmarktkurs sogar bei 1 : 20 gelegen haben, fünf Pfennige West gegen eine Mark Ost. Das Geld hatten die Spekulanten
auf die Konten ihrer
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