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Abbau Ost

Titel: Abbau Ost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Baale
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seine Arbeit so viel zu verdienen, dass
er Entnahmen ersetzen kann, bevor es vollständig
aufgezehrt ist.
     
    Adam Smith, ›Der Wohlstand der Nationen‹, London 1776

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    |33| TEIL EINS
Herrenloses Eigentum

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Wendebestandsaufnahme
    Es blieb immer ein großes Mysterium, dass den DDR-Bürgern alles gehörte, sie aber kaum etwas wirklich besaßen. Eigentum, hieß
     es auch zu sozialistischen Zeiten, gibt Sinn für Ordnung. Und wer konnte den tiefen Sinn dieser Worte besser erfassen als
     jene deutschen Staatsbürger, denen »gesamtgesellschaftliches Eigentum an Produktionsmitteln« oder Volkseigentum als die höchste
     Form materiellen Besitzes propagiert wurde. Die Besitzverhältnisse oder »Privateigentum an Produktionsmitteln« waren der Dreh-
     und Angelpunkt der marxistisch-leninistischen Theorie. Der eine oder andere hatte durchaus ein wenig, meist aus vorsozialistischen
     Zeiten überkommenen Besitz, beispielsweise ein altes Mehrfamilienhaus in der Innenstadt, an dem er oder die Familie über all
     die Jahrzehnte trotz erschreckend niedriger Mieteinnahmen festhielt. Eigentumswohnungen gab es nicht, wohl aber Wohneigentum
     in Form von Einfamilienhäusern. Allerdings übte Wohneigentum auf die meisten DDR-Bürger wegen der sehr niedrigen Mieten keinen
     besonderen Reiz aus. Entsprechend klein war die Zahl derer, die in den eigenen vier Wänden wohnten. Neben dieser über Wohnimmobilien
     verfügenden Minderheit gab es noch das Bodenreformland, der größte Immobilienbesitz von DDR-Bürgern überhaupt. Diese Landparzellen
     waren ihren Besitzern während der sowjetischen Besatzung zugeteilt worden, was zugleich einen gewissen Bestandsschutz darstellte.
     Die DDR-Regierung fühlte sich an die unter sowjetischer Aufsicht stehende und von ihr selbst betriebene Landaufteilung sozusagen
     moralisch gebunden. Auch wenn es sich bei dem Bodenreformland |34| quasi um Privatbesitz handelte, so war dessen Bewirtschaftung an die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG)
     gebunden. Allerdings wirtschafteten die Agrargenossenschaften nicht nur auf dem Bodenreformland ihrer Anteilseigner, sondern
     zum großen Teil auf staatlichen Acker- und Weideflächen. Privaten Acker- und Gartenbau und private Tierhaltung gestattete
     der sozialistische Staat nur in geringem Umfang. Die Abnahme dieser im Nebenerwerb erzeugten Produkte war allerdings staatlich
     garantiert, die stark subventionierten Preise waren für die Kleinerzeuger äußerst lukrativ.
    Darüber hinaus existierten in der DDR kleine, privat geführte Unternehmen wie Elektroinstallationsfirmen, Klempnerbetriebe,
     Tischlereien, sogenannte Privatbäcker, Fleischerfachgeschäfte. All diese Betriebe hatten üblicherweise nicht mehr als zehn
     Beschäftigte. Sie kamen über eine kritische Größe nicht hinaus, da sie ansonsten mit der staatlichen Doktrin in Konflikt geraten
     wären und die Enteignung drohte. Verbreitet war dagegen genossenschaftliches Eigentum. Es gab Genossenschaften des Produktiven
     Handwerks (PGH), Konsumgenossenschaften, Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften (AWG). Bis auf das Genossenschaftseigentum und
     den wenigen Privatbesitz gehörte die DDR zum weitaus größten Teil dem Volk. Auch wenn der Eigentumsbegriff ideologisch motiviert
     war und selbst die DDR-Bürger mit so abstrakten Begriffen wie Volkseigentum oder gesamtgesellschaftlichem Eigentum an Produktionsmitteln
     nicht viel anfangen konnten, so bestimmten die staatlich kontrollierten Eigentumsverhältnisse dennoch über vier Jahrzehnte
     ihre Lebenswirklichkeit. DDR-Bürger konnten keinen größeren Besitz erwerben oder sich eine Existenz aufbauen, ähnlich wie
     das in den marktwirtschaftlichen Verhältnissen der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft geschehen konnte. Alles, was die DDR-Bürger
     besaßen und wofür sie gearbeitet hatten, steckte in diesem Staat. Und dieses Volksvermögen hatte im Laufe von mehr als vier
     Jahrzehnten einen beachtlichen Umfang angenommen. Zum Zeitpunkt der Wendebestandsaufnahme zählte die ostdeutsche Volkswirtschaft
     12 354 Unternehmen mit 45 000 Betriebsstätten. In den Volkseigenen Betrieben arbeiteten |35| 4,1 Millionen Menschen. Zu den Unternehmen gehörte beispielsweise das Kombinat VEB Deutfracht/Seereederei Rostock (DSR), unter
     dessen Flagge 172 Frachtschiffe mit einem Raummaß von insgesamt 1,13 Millionen Bruttoregistertonnen fuhren. Zum Volkseigentum
     gehörten 20 000 Gaststätten und Ladengeschäfte, 1839 Apotheken,

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